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Auch Theresienstadt wurde zum Flutopfer

Von Wolfgang Jung

Politik

Prag - Jedes Jahr um den 1. September sind die Straßen der böhmischen Stadt Terezin voller Touristen. Der Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs ist für viele ein Grund, die benachbarte Holocaust-Gedenkstätte Theresienstadt zu besuchen. Diesmal ist das anders: Das verheerende Hochwasser in Tschechien hat das ehemalige Getto schwer beschädigt. "Einige Dinge sind wohl für immer zerstört", sagt der Leiter der Gedenkstätte Jan Munk.


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Fast zwei Meter hoch stand die braune Brühe in den Straßen des Ortes. Der 1945 von ehemaligen Häftlingen angelegte Nationale Friedhof vor der "Kleinen Festung" war völlig überflutet. Noch in diesen Tagen bedeckt eine dicke Schlammschicht Teile der Stadt und des Ehrenhains. Freiwillige Helfer, Feuerwehrmänner und Soldaten sind zusammen mit Bewohnern im Dauereinsatz. Ursprünglich wollte Munk die Gedenkstätte zum 1. September wieder öffnen, doch daraus wird nichts.

"Wir können es uns aber nicht leisten, lange auf Gelder aus dem Fremdenverkehr zu verzichten. Das ist unsere einzige Einnahmequelle", sagt Munk. Wann die Gedenkstätte wieder zugänglich sein wird, weiß er nicht: "Die Lösung aller Probleme könnte aber zwei Jahre dauern."

Zu Wochenbeginn besuchte bereits der amerikanische Botschafter in Prag, Craig Stapleton, die Gedenkstätte und sagte dem stellvertretenden Leiter Vojtech Blodig Hilfe zu. "Ich werde mich an die jüdische Gemeinde in den USA und das Holocaust-Museum in New York wenden", sagte Stapleton. "Ich glaube, dass dieses Projekt erfolgreich sein wird."

Die Flut hat auch viele unterirdische Gänge und Kasematten beschädigt, deren Zustand schon vor der Flut bedenklich war. In einigen steht immer noch das Hochwasser. "Ich sorge mich besonders um das historische Krematorium auf dem Friedhof - die Statik des Gebäudes scheint ernsten Schaden genommen zu haben", sagt Munk.

Ende des 18. Jahrhunders war die rund 50 Kilometer nördlich von Prag stehende Festung von Kaiser Josef II. als Gefängnis für politische Gegner der Habsburger genutzt worden. Als die demokratische Tschechoslowakei im März 1939 von Nazi-Deutschland zerschlagen wurde, legte die Gestapo im kleineren Teil ein Polizeigefängnis an. In der Hauptfestung entstand im Juni 1940 ein Getto für Juden. Bis zur Befreiung im April 1945 mussten etwa 140.000 Männer, Frauen und Kinder aus ganz Europa hier qualvolle Zwangsarbeit leisten, bis sie in die Todeslager Auschwitz oder Treblinka transportiert wurden. Allein in Theresienstadt sollen 40 000 Menschen ums Leben gekommen sein.

Besonders schwer wiegt daher die Beschädigung des NS-Archivs, darunter eine Ausstellung mit Zeichnungen von Häftlingen. Auch viele Akten über mutmaßliche Kriegsverbrecher sind möglicherweise verloren. Zwar wurden die Dokumente längst auf CD-ROM überspielt, bei möglichen Prozessen lassen Gerichte jedoch nur Originale als Beweisstücke zu. "Die Täter können sich freuen", kommentierte Kulturminister Pavel Dostal grimmig den Verlust.

Auch wichtige Akten in Prag beschädigt

Das katastrophale Hochwasser, das Prag betroffen hat, hat eine ganze Reihe von Dokumenten über das politische Geschehen in der kommunistischen Ära stark beschädigt oder ganz vernichtet. In dem überschwemmten Archiv am Moldau-Ufer im Stadtviertel "Troja" befinden sich auch Akten aus dem Prozess gegen Mitglieder des "Ausschusses für die ungerecht Verfolgten" (VONS), bei dem 1979 der damalige Dissident und heutige Präsident Vaclav Havel verurteilt wurde, berichtete die tschechische Tageszeitung "Mlada fronta Dnes".

Auch Dokumente über die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg sind vom Hochwasser schwer beschädigt worden. In den etwa 25.000 Archivkartons, die in der vorvergangenen Woche im Militärhistorischen Institut überschwemmt worden seien, waren nach ersten Erkenntnissen auch Akten der tschechoslowakischen Nachkriegs-Militärmission in Berlin und Frankfurt/Main, bestätigte ein tschechischer Diplomat.