Kurdische Granate schlägt in Regierungsgebäude ein - zahlreiche Verletzte. Türkische Armee setzt Angriffe fort und vermeldet militärische Erfolge. Tausende Zivilisten auf der Flucht vor den Kämpfen.
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Donald Trump hat derzeit alle Hände voll zu tun, den US-Abzug aus Nordsyrien und die damit ermöglichte Invasion der Türkei zu erklären. Dabei greift der US-Präsident weit in die Geschichte zurück. Die jetzt von der türkischen Militäroffensive betroffenen Kurden hätten die USA schließlich auch nicht im Zweiten Weltkrieg bei der Landung in der Normandie 1944 unterstützt, meinte Trump. Außerdem, so der US-Präsident, habe man den Kurden in der Vergangenheit massiv mit "Waffen und Geld" geholfen. Es sei auch nicht zutreffend, dass die USA die kurdischen Verbündeten, die jahrelang den IS bekämpft hatten, ans Messer liefern würden, denn: "Wir mögen die Kurden."
Senator Lindsey Graham - einer der engsten Vertrauten Trumps im Kongress und ebenfalls Republikaner - kritisierte den Präsidenten: "Dies ist die Mentalität vor dem 11. September, die den Weg für den 11. September ebnete: Was in Afghanistan passiert, geht uns nichts an. Wenn er damit weitermacht, ist dies der größte Fehler seiner Präsidentschaft", so Graham zu "Fox News", Trumps Haussender.
Verletzte Beamte
Unterdessen ist die türkische Armee am Donnerstag auch am Boden in kurdisches Gebiet eingedrungen. Zunächst befahl Ankara Luftschläge gegen Städte und Dörfer auf der anderen Seite der Grenze. Stellungen und Munitionsdepots der Kurden wurden mit Geschützen von türkischer Seite aus beschossen.
Kurdische Kräfte schossen zurück. Im türkischen Akcakale wurde der Garten eines Regierungsgebäudes getroffen und mindestens 18 Menschen verletzt. Es gibt Fotos, auf denen zum Teil schwer verwundete Beamte zu sehen sind, die auf dem Boden liegen. Offenbar gibt es auch Tote. Die Hoffnungen des türkischen Oppositionsführers Kemal Kilicdaroglu erfüllen sich also nicht ganz. Er schrieb auf Twitter, er bete dafür, dass "unsere heldenhaften Soldaten die ,Operation Friedensquelle‘ sobald wie möglich und erfolgreich abschließen, ohne, dass ihnen auch nur die Nase blutet."
Laute Kriegsbegeisterung
Die Türkei ist scheinbar von Kriegsbegeisterung erfüllt. Nun würden die "heldenhaften Soldaten" östlich des Euphrat vorrücken, hieß es hier. Laut Beobachtern hat Ankara Lautsprecher an die Grenze gebracht, die die syrische Seite mit lauter Marschmusik beschallt. Ankara will einen 30 Kilometer breiten und 500 Kilometer langen Sicherheitsstreifen schaffen, wo syrisch-arabische Flüchtlinge angesiedelt werden sollen. Wobei es massive Zweifel an der türkischen Militäraktion gibt.
Die kurdischen YPG-Kämpfer haben bereits bekannt gegeben, dass die Kämpfe gegen den IS vorerst eingestellt werden mussten, um Kräfte gegen die türkische Armee freizubekommen. Nicht nur der deutsche Außenminister Heiko Maas warnt, dass die Region destabilisiert und der IS gestärkt werden könnte. Es wird allgemein damit gerechnet, dass in den Kriegswirren von Kurden in Lagern bewachte Terroristen freikommen könnten.
Das befürchten auch die USA, die vorsorglich einige besonders gefährliche IS-Männer von den Kurden übernommen und in den Irak gebracht haben. Darunter befinden sich die berüchtigten Briten Alexanda Kotey und El Schafi Elscheich. Die beiden sollen an der Enthauptung von Geiseln beteiligt gewesen sein und zu einer IS-Zelle gehört haben, die wegen ihres britischen Akzents auch "The Beatles" genannt wurde.
Die kurdische Regionalverwaltung warf der Türkei bereits direkt vor, ein Gefangenenlager beschossen zu haben, in dem IS-Kämpfer bewacht werden. Ankara riskiere den Ausbruch gefährlicher Extremisten, hieß es. Die Information konnte von unabhängiger Seite freilich nicht bestätigt werden.
Die Kritik am türkischen Vorgehen in Syrien nimmt unterdessen weiter zu. Auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg forderte die Türkei auf, die Militäraktion umgehend zu beenden. "Wir sind sehr besorgt über weitere humanitäre Verwerfungen und ein mögliches Wiedererstarken des IS als potenzielle Auswirkungen der Operation".
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reagiert auf seine Weise auf die europäische Kritik und droht damit, die Grenzen für syrische Flüchtlinge zu öffnen. "Hey EU, wach auf! Ich sage erneut: Wenn ihr unsere Operation als Invasion darzustellen versucht, ist unsere Aufgabe einfach: Wir werden die Türen öffnen und 3,6 Millionen Menschen werden zu euch kommen", so Erdogan.
Auch in der Türkei selbst ist Kritik höchst unwillkommen - es wird hart durchgegriffen. Dutzende kurdische Oppositionelle sind von der Polizei bereits festgenommen und Untersuchungen eingeleitet worden.
Tausende auf der Flucht
Unterdessen sind rund 60.000 Menschen auf der Flucht vor den neuen Kämpfen in einem Land, das seit Jahren von einer Katastrophe in die andere schlittert. Internationale Hilfsorganisationen machen sich auf das Schlimmste gefasst, Care warnt vor einer bevorstehenden Gewalteskalation gegen Zivilisten und Massenvertreibungen. "Ärzte ohne Grenzen" rufen zur Achtung des humanitären Völkerrechts auf.