Experte: Gesetz über Bankdatentausch (Fatca) lässt Schlupflöcher offen.
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Wien. Jene Art von Informationsaustausch, den die USA mit Banken in aller Welt anstrebt, gilt als derzeit wirksamstes Werkzeug gegen Steuerhinterziehung. Die sechs größten EU-Staaten nahmen das 2010 beschlossene US-Gesetz (Foreign Account Tax Compliance Act, kurz Fatca) sogar zum Vorbild. EU-intern soll der angestrebte automatische Austausch von Bankkunden-Daten so auf die nächste Ebene gehoben werden.
Aber ist das US-Vorbild Fatca wirklich so effizient? James Henry kostet das einen Lacher: "Das möchte Ihnen vielleicht die Schweizerische Bankiervereinigung einreden", sagt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Chef des Beratungsunternehmens SAG Harbor Group, früher Ökonom bei McKinsey, ist zugleich Vorsitzender der Globalen Allianz für Steuergerechtigkeit. Der US-Amerikaner gilt als Top-Experte in Sachen Steueroasen, hat unter anderem die G8 zu diesem Thema beraten.
Das Fatca-Abkommen, das die USA mit der Schweiz vereinbart haben, sei alles andere als wasserdicht. Henry traut den Instituten nicht über den Weg: "Dass nun die Schweizer Banken den automatischen Informationsaustausch befürworten, lässt uns vermuten, dass sie Umgehungsmöglichkeiten gefunden haben."
Er hat auch schon Vermutungen, wie: Fatca umfasse keine Versicherer - somit müssten Auszahlungen von Lebensversicherungen nicht berichtet werden. "Omnibus-Konten" (Sammelkonten, die Schweizer Bankangestellte für Kunden unter eigenem Namen führen) seien ebenfalls nicht erfasst. Und weder würden die zig Tonnen Gold, die der (1989 verstorbene) philippinische Diktator Marcos in der Schweiz gebunkert haben soll, noch die Dutzenden Picasso-Gemälde in einem Lagerhaus nahe dem Genfer Flughafen erfasst.
Die einzige Möglichkeit, das in der Schweiz gebunkerte Vermögen umfassend aufzudecken, sei mittels einer unabhängigen Wahrheitskommission, ist Henry überzeugt. Die portugiesische EU-Parlamentarierin Ana Gomes (S&D) hat für dieses Vorhaben bereits knapp 29.000 Unterstützungserklärungen gesammelt.
Wien startet Verhandlungen
In Österreich hat der Ministerrat im Mai grünes Licht für Fatca-Verhandlungen mit den USA gegeben. Für die Vereinigten Staaten habe aber das Nachbarland vorerst Priorität: "Die Schweiz ist ein spezieller Fall: Nicht umsonst liegt das Land in Sachen Intransparenz auf Platz 1 von 75 Schattenfinanzplätzen", sagt Henry.
"Das Land hat zudem Tradition darin, Geld von Diktatoren und Kleptokraten aus Schwellenländern anzuziehen." Dabei verlangten die Schweizer Banken "astronomische Gebühren" für Transaktionen: "Das Geld wird nicht dorthin gebracht, weil der Finanzsektor so effizient ist - das hat fast immer steuerliche Gründe."
Die USA wollen sich nun Bank für Bank vorknöpfen. "Gegen 14 Schweizer Banken wird bereits offiziell ermittelt, auf weitere acht hat die US-Justiz ein Auge geworfen", sagt Henry. Nur das größte Schweizer Institut ist aus dem Schneider: UBS konnte 2009 mit einer Buße von 780 Millionen Dollar ein Strafverfahren verhindern, musste dafür aber die Namen von mehr als 4000 mutmaßlichen Steuersündern ausliefern.
Eigentlich wollten die Schweizer Banken, dass ihre Regierung eine Streitbeilegung aushandelt - etwa dass für eine Zahlung von 10 Milliarden Franken (8 Milliarden Euro) die Strafverfolgung fallen gelassen würde. "Durch den Druck des Kongresses und von uns wurde dieser Deal zum Glück verhindert", sagt Henry.
Die US-Justizbehörden verlangen jetzt, dass Schweizer Banken die Namen jener Mitarbeiter preisgeben, die reiche Kunden betreut haben. Dann wollen sie über den Weg der Amtshilfe US-Bürgern auf die Schliche kommen, die Steuern hinterzogen haben. Den Schweizer Banken drohen Geldstrafen in Milliardenhöhe - fixieren wollen die Amerikaner die Bußen aber erst am Schluss. An diesem Vorgehen stoßen sich viele Schweizer Parlamentarier; das nötige Spezialgesetz dürfte deshalb die Mehrheit verfehlen. "Die Schweiz ist an einem Wendepunkt", sagt indes Henry: "Viele meiner dortigen Freunde sind das miese Image leid. Das Land hat tolle Technologiefirmen und eine respektable Industrie. Es sollte nicht auf dieses Business angewiesen sein." Zumal das Geschäftsmodell Steuerflucht ohnehin gerade ein für alle Mal beendet werde. Es gebe keinen Zufluchtsort mehr, an dem sich Steuersünder sicher fühlen könnten. 2013 habe es "erstaunliche Erfolge" gegeben - weit über Offshore-Leaks hinaus. Henry erinnert an das Aus für Zyperns Geschäftsmodell oder den französischen Budgetminister Jerome Cahuzac, der über heimliche Auslandskonten stolperte. Paris verlangt seither von allen Politikern die Offenlegung ihrer Vermögenswerte. Ein Beispiel, das Schule machen sollte, so Henry. "Es ist zwar schön, wenn Offshore-Leaks spektakuläre Skandale ans Tageslicht befördert. Der größte Skandal ist aber, dass wir diese Verhaltensweisen seit geraumer Zeit kennen." Jetzt erst werde das Thema ernst genommen. Die G8 werden beim Gipfel ab 17. Juni in Nordirland den Informationsaustausch und ein Register aller Begünstigten von anonymen Stiftungen und Trusts vorantreiben.
Die Industriestaatenorganisation OECD hat die (meist legale) Steuervermeidung von Konzernen zum Thema gemacht. Damit multinationale Unternehmen künftig nicht mehr ihre Gewinne rund um den Globus schicken und ihre Steuerbasis kleinrechnen, brauche es neue Standards. Alle Konzern-Gewinne sollten global betrachtet und die fälligen Steuern jenen Ländern zugeteilt werden, in denen die Unternehmen aktiv sind. "Dann wäre es nicht mehr möglich, dass Apple 64 Prozent seiner Gewinne in Irland parkt, wo nur ein Prozent seiner Beschäftigten sind."
Europa die treibende Kraft
Das Argument, dass die Staaten an den Steuerschlupflöchern schuld sind, lässt Henry nicht gelten: "Die Unternehmen haben enormen Einfluss auf dieses System. Auch ein Textilkonzern kann sich nicht einfach auf die Rechtslage in Bangladesch berufen. So wurde früher einmal Kinderarbeit gerechtfertigt - und auch Sklaverei war einst legal."
Bisher konnte sich freilich nicht einmal die EU intern auf eine einheitliche Steuerbemessungsgrundlage für Unternehmen einigen. "Das liegt daran, dass es keine Priorität hatte", sagt der Experte. "Das ändert sich gerade."
Bei Infoaustausch, Stiftungsregister und der länderspezifischen Berichtslegung von Konzernen sieht der Amerikaner die Europäer sogar als treibende Kraft. "Überraschenderweise. Aber das liegt daran, dass die Folgen der Krise hier dramatischer sind."