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Abdullah Gül im "WZ"-Interview: Sind stolz auf Reformen. | "Kein Vertrag" zur Öffnung türkischer Häfen für Zypern. | "Wiener Zeitung":Bei den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei agiert Österreich sehr vorsichtig, während es sich für die Westbalkanstaaten sehr engagiert. Haben Sie Ihre österreichischen Gesprächspartner darauf angesprochen?
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Abdullah Gül: Wir haben nicht viel über den Westbalkan gesprochen. Aber ich weiß, was Sie meinen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei haben begonnen, und sie werden lange dauern. Wir sind uns dessen bewusst, und wir sind nicht in Eile. Die Balkanstaaten nähern sich alle der EU an, es ist der gleiche Verhandlungsprozess. Auch wir sind ein Balkanstaat - Istanbul befindet sich auf dem Balkan.
Die Verhandlungen werden lange dauern, aber der Reformeifer Ankaras darf nicht erlahmen, mahnt die EU.
Wir sind sehr auf diesen Reformprozess bedacht. Er ist nicht für die EU wichtig, sondern für uns selbst. Wir möchten, dass die Menschen in den Genuss demokratischer Standards kommen. Wir sind daher stolz auf die Reformen. Aber sie setzen auch einen Mentalitätswechsel voraus, und der kommt nicht über Nacht.
Ist die Türkei nicht reformmüde geworden?
Selbstverständlich ist die Umsetzung der Reformen wichtig, und es gibt Einzelfälle, wo das noch nicht gelingt. So sorgte der Fall des Schriftstellers Orhan Pamuk für Aufsehen. Aber die Reformen gehen in die richtige Richtung, und dieser Prozess verliert nicht an Schwung. Das ist eine politische Entscheidung, und das zählt.
Zu den Verpflichtungen der Türkei gehört die Öffnung der Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe sowie Flugzeuge. Wann wird dies geschehen?
Wir sind dazu verpflichtet, die Zollunion mit allen 25 EU-Staaten zu verwirklichen. Wir sind Mitglied der Zollunion seit 1959; als die zehn neuen EU-Länder beigetreten sind, mussten sie auch das Abkommen unterzeichnen. Und wir mussten die Ausweitung der Zollunion auf diese Länder - und damit den Handel mit den griechischen Zyprioten - sicherstellen. Das funktioniert: Die griechischen Zyprioten verkaufen uns ihre Waren, wir verkaufen ihnen unsere Waren.
Aber zur Zollunion gehören auch offene Häfen und Flughäfen. . .
Wir selbst müssen Beschränkungen in Kauf nehmen, obwohl wir Mitglied der Zollunion sind. So können Geschäftsleute nicht ungehindert reisen, sie brauchen ein Visum. Da könnte es auch Beschwerden geben. Doch wir nehmen das in Kauf.
Die EU pocht aber auch auf die Öffnung der Häfen. So hat Bundeskanzler Wolfgang Schüssel dies bis Ende des Jahres gefordert.
Ich respektiere diesen Wunsch, aber es gibt keinen Vertrag dazu. Die griechischen Zyprioten wiederum haben ein Handelsembargo gegen die türkischen Zyprioten im Norden verhängt. Es gibt keine Rechtfertigung dafür. Zypern ist ein Mitglied der Europäischen Union geworden, und die Situation hat sich nicht geändert. Zudem wollte die EU das Problem vor dem Beitritt Zyperns gelöst haben, doch die griechischen Zyprioten haben den UNO-Plan zur Wiedervereinigung der Insel abgelehnt. Die EU war aufgebracht. Später hat sie Maßnahmen beschlossen, um die wirtschaftliche Isolation des Nordens zu brechen. Dies ist noch nicht umgesetzt worden. Die EU hält sich selbst nicht an ihre Verpflichtungen.
Zuerst soll also die Isolation des Nordens aufgehoben werden, und dann öffnet die Türkei ihre Häfen?
Ich habe vorgeschlagen, dass wir gleichzeitig alle Beschränkungen auf der Insel aufheben.
Es ist ein Patt: Zypern sagt, die Türkei muss sich bewegen, Ankara meint, Nikosia muss etwas tun. Wie soll der Zypern-Konflikt gelöst werden?
Es waren die griechischen Zyprioten, die den Plan zur Wiedervereinigung abgelehnt haben. Seit unsere Regierung an der Macht ist, haben wir viel getan. Wir haben nach 25 Jahren Teilung Grenzübergänge auf der Insel geöffnet. Wir räumen die Minen weg. Wir haben dem UNO-Plan zugestimmt, obwohl wir Einwände hatten. Wir haben schon viele Schritte gesetzt. Wir müssen alle konstruktiv sein, und die Türkei hat den Willen dazu.
Kann die Republik Zypern zu einem ernsthaften Problem für die Türkei werden oder wird es bei Drohungen bleiben, die Beitrittsverhandlungen zu blockieren?
Ich glaube nicht, dass die EU erlauben wird, dass eines ihrer Mitglieder die Verhandlungen torpediert, um seine eigenen Interessen zu verfolgen. Im Vordergrund muss das Interesse der Union stehen.