Was Migranten von typisch rot-weiß-roten Klischees halten. | Die Leberkässemmel am Vormittag - für viele ein echter Alptraum. | Wien. Verliebte Pärchen taumeln am Wiener Graben orientierungslos Richtung Stephansdom, asiatische Touristen trippeln dem Fremdenführer mit seiner weit in die Höhe gestreckten Fahne hinterher, man hört viel amerikanisches Englisch und Akzente aus unserem Nachbarland Deutschland: Der Frühling ist hierzulande immer eine beliebte Besuchszeit für internationale Gäste.
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Laut Statistik Austria nahm der Fremdenverkehr mit internationalen Touristen in der Sommersaison zwischen Mai und Oktober 2010 gegenüber dem Vorjahr um 4,3 Prozent zu. 11,3 Millionen Menschen wollten Österreich kennenlernen. Besucherzahlen der Sehenswürdigkeiten deuten an, was sie an der Alpenrepublik interessiert: Neben Schloss Schönbrunn, der historischen Wiener Innenstadt und dem Prater gehörten im letzten Jahr die Salzburger Highlights und Mariazell nach wie vor zu den Dauerbrennern.
Habsburg-Erbe, Sisi, Sound of Music & Co - aber was ist für Migranten, die hier leben, "typisch österreichisch"? "Steffl, Riesenrad.. .", fängt Fatih an, Klassiker aufzuzählen. Am Ende fügt der Jugendliche mit familiären Wurzeln in der Türkei noch den Millennium Tower und den Donauturm hinzu.
Fragt man weiter herum, wird eines fast immer genannt: das Schnitzel. Mursel Kahraman kennt das Geheimnis dahinter: "Die Semmelbrösel - die gibt’s sonst nirgends! Meiner Familie in der Türkei bringe ich immer welche mit", so der Austro-Türke, der 1981 einwanderte und am Hannovermarkt tätig ist.
Ein Fleischgericht kann nur unter bestimmten Umständen zwischen Kulturen vermitteln: Wie für viele Menschen aus einem muslimisch geprägten Land, kommt für Yunes kein Schweinefleisch in Frage. Als der Afghane 2007 als 15-jähriger Asylwerber in Österreich strandete, kannte er die Alpenrepublik nicht einmal. Zur Flucht aus seinem Heimatland gezwungen, wollte er zu einem fernen Verwandten nach Kanada und schaffte es bis nach Mitteleuropa.
Für Yunes war hier alles neu. Der Wahl-Favoritner spricht mittlerweile Deutsch mit Wiener Färbung. Noch nicht gewöhnt ist er an die Gepflogenheit mancher, zu verschiedensten Tageszeiten Wurst und Alkohol zu konsumieren: "Die Leute trinken viel, auch in der Früh oder nach dem Sport - das könnte ich nie!" Auch eine Leberkässemmel in der 10-Uhr-Vormittagspause zu verspeisen mag sich der Kfz-Lehrling nicht so recht vorstellen.
Yunes muss weder Leberkäs- noch Schnitzel-Fanatiker werden, findet Nedad Memic. Die Identifizierung mit Nationalem passiere auf der symbolischen Ebene: "Ich muss nicht den Fiaker mögen, um in der österreichischen Gesellschaft integriert zu sein!", meint der Chefredakteur des auf Serbokroatisch erscheinenden Monatsmagazins "Kosmo" schmunzelnd. Eine positive Grundhaltung zu Symbolen der Gesellschaft sei für das Zusammenwachsen aller Gruppen jedoch hilfreich.
Migranten und der Skisport
Bei Klischees handelt es sich um Vereinfachungen. Wie man den Charakterzug "Raunzer" nicht auf alle alteingesessenen Österreicher münzen kann, lässt sich die Aussage "Migranten fahren nicht Ski" ebenso wenig verallgemeinern: "Das hängt davon ab, mit welchen Zuwanderern man spricht", betont Nedad Memic. In manchen ex-jugoslawischen Gebieten würde sehr wohl Wintersport betrieben werden. Zudem gibt er zu bedenken: "Nicht alle Leute konnten es sich in der alten Heimat leisten. Ähnlich ist es auch in Österreich."
"Klischees zu hinterfragen, bringt Menschen zum Denken", sagt die Kommunikationswissenschafterin und Journalistin Petra Herczeg. Ein gutes Beispiel dafür sei die Kampagne von Black Austria, die vor ein paar Jahren mit dem oft negativen Image von Schwarzen aufräumte. "Ich hab’s auf eure Kinder abgesehen" war ein Statement eines Plakates, auf der eine Tagesmutter zu sehen war und das mit dem Vorurteil der "bedrohlichen Schwarzen" spielte. Stereotype, so Herczeg, manifestieren sich über Medien. Ihre Entstehung sei dabei nie zufällig: "Dahinter stehen Mythen und Geschichten." Dass manche Staaten als offener gelten als andere, käme nicht von ungefähr: "Es hat schon einen Grund, dass Länder wie Kanada ein multikulturelles Image haben. Auch in Österreich müssen wir neue Klischees finden und zu etwas Gemeinsamen kommen."
Die Wissenschafterin fordert mehr Raum für Austausch innerhalb der Gesellschaft und einen breiteren Diversity-Ansatz der Politik. Punktuelle Aktivitäten wie die Wiener Integrationswoche seien zu wenig, befürchtet Herczeg, die sich in ihrem neuesten Buch mit dem Aufwachsen in mehreren Sprachen auseinandersetzt.
Wie verkaufen wir uns?
Eine wichtige Form der Präsentation nach außen stellt die Tourismus-Werbung dar. Ulrike Rauch-Keschmann, Sprecherin der Österreich Werbung, antwortet auf die Frage, ob Migranten nicht stärker Teil davon sein müssten: "Das findet jetzt schon statt. Wir versuchen, dieses Thema immer mitzudenken." Österreich stehe für einen hunderte Jahre alten Pluralismus. Die nationale Tourismusorganisation will dem zum Beispiel mit Sujets vom "bunt gemischten" Wiener Naschmarkt oder von "Jazz auf der Alm" inklusive multikultureller Band Rechnung tragen.
Hauptaugenmerk von Website und Prospekten der Österreich Werbung bleiben klassische Themen wie Natur, Berge, Tradition und Kultur. Medienmacher Memic glaubt nicht, dass Minderheiten durch "altbewährte" Österreich-Klischees unbedingt ausgegrenzt werden. Das zeige die Kulinarik: Die hiesige Kaffeekultur, zum Beispiel, wäre ohne fremden Einfluss nie aufgeblüht. Trotzdem denkt Memic schon mal über zukünftige Kombinationsmöglichkeiten von Hauptspeisen und Desserts nach: "Ein Schnitzel kann wunderbar zu Baklava passen."