Eine ÖVP unter Kurz hätte derzeit Potenzial auf Platz eins. Aber nur, wenn sehr viel Kurz und sehr wenig ÖVP drin ist.
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Wien. Es war sicher Zufall. Oder? Genau über dem Rednerpult, an dem Sebastian Kurz der SPÖ seinen Neuwahlwunsch und der ÖVP seine Bedingungen diktierte, war ein Bildnis des sehr jungen Kaiser Franz Joseph zu sehen. Als dieser den Thron bestieg, war er gerade einmal 18 Jahre alt. Verglichen damit ist Sebastian Kurz fast schon ein Haudegen. Aber gewisse Analogien lassen sich erkennen, schließlich war einst auch Franz Joseph ein Hoffnungsträger, der das Haus Habsburg in einer schwierigen Lage übernehmen sollte. Man schrieb das Jahr 1848, das Jahr der Revolution.
Womit die Analogie aber auch schon endet. Österreich befindet sich nicht inmitten einer Revolution. Aber vielleicht politisch-kulturell gesehen? Sebastian Kurz machte jedenfalls klar, dass er die ÖVP nur dann übernehmen werde, wenn er weitreichende Entscheidungsbefugnis bekäme, und zwar sowohl inhaltlich als auch personell. "So wie’s war, so kann es nicht bleiben", sagte Kurz. "Eine moderne politische Kraft muss die besten Köpfe zulassen, ganz gleich, ob sie ein Parteibuch haben oder nicht und egal, aus welchem Bundesland sie kommen."
Dass sich Kurz mit derartigen Forderungen an die Öffentlichkeit wendet, ist natürlich Teil des politischen Spiels. Und klarerweise wird den Entscheidungsträgern im ÖVP-Vorstand auch bewusst sein, dass die Alternativen zu Kurz, nun ja, überschaubar sind. Mit dem Außenminister hat die Volkspartei eine Chance auf den Kanzler - Stand heute zumindest.
Die entscheidende Frage ist, wie die ÖVP und auch wie Kurz das Potenzial nutzen und die gegenwärtig hervorragenden Umfragewerte auf den Boden bringen können. Zunächst einmal ist davon auszugehen, dass es einen sehr personalisierten Wahlkampf geben wird. Das ist logisch und wird auch bei den anderen Parteien, die für Platz eins in Frage kommen, nicht anders sein. "Die ÖVP als Logo wird eine mehr als untergeordnete Rolle spielen, das ist überhaupt keine Frage", sagt Politikberater Thomas Hofer.
Anleihen kann sich Kurz hier bei Erwin Pröll nehmen, einem frühen Förderer des Außenministers. Der hatte in seinem letzten Wahlkampf das ÖVP-Logo gänzlich von den Plakaten verschwinden lassen und Farben des niederösterreichischen Landeswappens, gelb und blau, gewählt.
Die Erwähnung der "besten Köpfe, ganz gleich, ob sie ein Parteibuch besitzen", kann man als Hinweis verstehen, dass Kurz mit einem Team antreten wird, das zumindest zu einem Teil außerhalb der Partei steht. Eine Revolution wäre das natürlich auch nicht, so ist auch Familienministerin Sophie Karmasin nicht ÖVP-Mitglied. "Da werden schon symbolträchtigte Personen kommen", sagt Wolfgang Bachmayer, Leiter des Meinungsforschungsinstituts OGM.
Ein Team mitProminenten von außen
Schon vor Monaten war kolportiert worden, dass Kurz bei Irmgard Griss angefragt haben soll. In den nächsten Wochen sollten ähnliche Meldungen nicht überraschen, vermutlich werden einige Namen medial ventiliert werden, schon allein deshalb, um die öffentliche Reaktion abzutesten.
Kurz hat am Freitag auch klar gemacht, die inhaltliche Linie vorgeben zu wollen. Hier benötigt er aber auch dazu passendes personelles Angebot. Zu Arbeitsmarkt und Wirtschaftspolitik hat sich Kurz bisher kaum geäußert, in einem Wahlkampf wird es aber natürlich auch um diese Themen gehen. "Ein weißer Fleck ist die Wirtschaftskomptenz, die muss er darstellen können", sagt Hofer.
Das wäre grundsätzlich für die ÖVP keine Schwierigkeit, Stichwort: Wirtschaftsbund. Aber wäre das passend für einen Aufbruch zu neuen Ufern? Einen Erneuerer? Die Personalie "darf nicht den Kammerstaat widerspiegeln, sondern muss unternehmensorientiert und bürokratiekritisch sein", sagt Bachmayer.
Klar ist aber auch, dass Kurz in einem Wahlkampf auf die ÖVP, ihre Strukturen und ihre Ressourcen angewiesen ist. "Das ist natürlich eine Gratwanderung", sagt Hofer. Auch wenn Kurz sehr viel Freiheit zugestanden wird, wird er gut beraten sein, die Grenzen nicht bedingungslos zu dehnen. Der ÖVP-Bezirksfunktionär im Zillertal muss genauso wie die Wirtschaftsbündlerin in Wien-Währing für ihn rennen, damit die ÖVP am Wahltag ihrem Potenzial mit Kurz nahe kommt.
Doch woher kommt dieses Potenzial? Meinungsforscher Peter Hajek sagt: "Größere Teile kommen aus dem freiheitlichen Lager", wobei Hajek jenes Reservoir anspricht, das sich bei der FPÖ seit der Wahl 2013 aufgebaut hat. Damals hatten die Freiheitlichen etwas über 20 Prozent errungen, die Werte gingen danach in Umfragen deutlich nach oben. Aus jener Gruppe könnte es Kurz gelingen, viele Wähler zurückzuholen.
Seit einiger Zeit arbeitet sich auch HC Strache auf seiner Facebook-Seite an Kurz ab, am Donnerstag bezichtigte der FPÖ-Chef Kurz, Vizekanzler Mitterlehner zum "Rücktritt gemobbt" zu haben. "Kurz geht politisch über Leichen. Das ist ein Alarmsignal für seine menschlichen Qualitäten." Auf sein Posting erhielt Strache aber ungewöhnlich viel Widerspruch. "Kurz ist einer der wenigen in der Regierung, mit dem die FPÖ vernünftige Politik durchsetzen könnte", schrieb einer, und ein anderer: "Seit ich wählen darf, wähle ich blau, aber dieses Hickhack nervt mich schon. Man sollte Kurz die Chance geben."
Kurz ist politisch nichteinfach zu verorten
Doch Kurz ist nicht so eindeutig zu verorten. "Er strahlt auch in Teile der Grün-Wähler, also konservative Grün-Wähler, und er wird natürlich Neos-Wähler ansprechen", sagt Hajek. Diese Breite wird sich wohl auch in seinem Team wiederfinden, und sie hat sich auch in seiner bisherigen politischen Laufbahn offenbart.
Als er 2011 Staatssekretär wurde, ernteten er und die ÖVP Unverständnis. "Teilweise wurde er verhöhnt", sagt Bachmayer. "Es gab dann eine Normalisierungsphase, weil sich herausgestellt hat, dass er doch nicht so fehl am Platz war." Das zeigte sich auch im Vertrauensindex von OGM und der APA. "Von Mitte-Links ging die Kritik zurück, es gab auch integrationsfreundlichen Kurs", erinnert sich der Meinungsforscher.
Einen Sprung im Vertrauensindex machte Kurz dann als Außenminister. Zwar gab es auch hier anfänglich Kritik und Hohn, aber das Amt ist grundsätzlich dazu geeignet, hohe Popularitätswerte zu erzielen. "Man ist hier den Niederrungen der Innenpolitik entzogen", sagt Bachmayer. Mit seiner restriktiven Haltung in der Fluchtkrise haben sich die Vertrauenswerte von Kurz weiter verbessert, allerdings polarisierte er damit auch mehr als davor.
Aber ist das in Stein gemeißelt? Vor allem, da die Flüchtlingsfrage nicht mehr so ideologisch verhandelt wird wie im Jahr 2015? Kurz wird sich als Sachpolitiker positionieren, das hat er ebenfalls am Freitag anklingen lassen. Aber zuerst braucht er das Pouvoir seiner Partei.