In den nächsten Stunden wird es aller Voraussicht nach auch rechtlich fixiert werden: Zwischen der Republik Österreich und der Israelitischen Kultusgemeinde kommt es durch eine ganze Reihe formal unabhängiger Schritte zu einer Aussöhnung in allen offenen Fragen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bis zuletzt ist von allen Seiten offizielles Stillschweigen gewahrt worden. Dennoch ergeben die Recherchen der "Wiener Zeitung" ein klares Bild: Es ist durch beiderseitige zähe Kleinarbeit gelungen, die zwischen der Republik Österreich und der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) angesammelten Probleme zu lösen.
Dies geschieht durch viele praktisch gleichzeitige Einzelmaßnahmen. Es gibt in formaler Hinsicht zwar nicht den von der IKG gewünschten Gesamtvertrag. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bevorzugt hingegen aus rechtlichen Gründen unabhängige Einzelmaßnahmen in den verschiedensten Bereichen. Dennoch gehen Beobachter davon aus, dass diese nicht zufällig alle gleichzeitig entscheidungsreif geworden sind.
So wird es zwar auch in Zukunft nicht die Bezahlung privaten Sicherheitspersonals für die IKG geben (von Regierungsseite früher mit kritischem Unterton "Mossad-Agenten" genannt). Das Innenministerium wird der Gemeinde aber - über die ohnedies immer eingesetzten Exekutivbeamten hinaus - eine Reihe von technischen und baulichen Sicherheitseinrichtungen finanzieren.
Ebenso wird das Unterrichtsministerium Spezialprojekte der jüdischen Schulen in Wien fördern. Die geforderte Erhöhung der Basisförderung für Schulen und Kultusgemeinde war aber aus verfassungsrechtlichen Gründen der Regierung nicht möglich: Das hätte die gleichheitswidrige Privilegierung einer Religionsgemeinschaft gegenüber allen anderen bedeutet. Zusätzliche Förderungen bekommen auch einige IKG-nahe Sozialeinrichtungen, insbesondere für betagte Menschen.
Die Zustimmung des kleinen Koalitionspartners ist inoffiziellen Hinweisen zufolge durch Entschädigungen für die so genannten Trümmerfrauen erleichtert worden.
Der größte Brocken wird im Entschädigungsfonds bewegt: Hier soll Mittwoch der Beschluss fallen, der IKG 18,2 Millionen Euro Globalentschädigung für die materiellen Verluste der Gemeinde und nahe stehender Vereine in der NS-Zeit zuzuweisen.
Diese zusätzlichen Mittel für den Entschädigungsfonds sind durch die Überweisung von 20 überschüssigen Millionen aus dem - mit seiner Aufgabe praktisch fertigen - Zwangsarbeiterfonds freigeworden. Damit erhält die IKG noch einmal den gleichen Betrag, den ihr schon die Bundesländer für die erlittenen Einbußen zugebilligt und zur Hälfte bereits überwiesen haben.
Der Entschädigungsfonds darf an sich erst nach Abrechnung aller Anträge überweisen: Es soll aber nun heute eine Ausnahme in Hinblick auf die IKG-Gelder beschlossen werden, die allen Seiten Vorteile bringt: Denn durch den nun erhofften Beschluss sollen erstens 1,8 Millionen zusätzlicher Mittel für die übrigen Opfer zur Verfügung stehen; zweitens zieht im Gegenzug die IKG ihre 777 Anträge auf Entschädigungen aus dem Fonds zurück, womit automatisch mehr Mittel zur Verteilung an die privaten Opfer bleiben; drittens wurde in der Vorwoche durch die IKG ein weiteres Hindernis für die Auszahlungen beseitigt: Das in Amerika anhängige "Whiteman"-Verfahren um sechs Klimt-Bilder, an dem die IKG beteiligt war, wurde an ein österreichisches Schiedsgericht übertragen.
In einem weiteren ähnlichen Verfahren in den USA steht nach Nichteinbringung einer Berufung die Rechtskraft unmittelbar bevor. Damit kann die vor der Auszahlung notwendige Rechtssicherheit sehr bald als gegeben gelten.
Der heute bevorstehende Beschluss des Entschädigungsfonds ist deshalb so wichtig, weil sonst für die Republik die Vorweg-Befriedigung einzelner Ansprüche rechtlich unmöglich wäre: Die anderen Klägergruppen würden benachteiligt.
Eine wichtige Etappe zu diesem Ziel war schon im Winter im Zwangsarbeiter-Fonds absolviert worden: nämlich ein Konsens über die Verteilung jener mindestens 95 Millionen Euro, die dem Fonds übrig bleiben. Ursprünglich waren von der Wirtschaft, die den Gutteil der Gelder aufgebracht hatte, Bedenken gegen die Umwidmung geäußert worden, sie hat aber schließlich zugestimmt, da die Gelder rechtlich ohnedies nicht mehr retourniert werden können.
Nun gehen 30 Millionen an die osteuropäischen Partnerorganisationen des Fonds, 20 Millionen wie erwähnt an den Entschädigungs-Fonds; der Rest wird aufgeteilt: fünf Neuntel auf einen Stipendien-Fonds für Kredite an Studenten aus den Herkunftsländern der Zwangsarbeiter; vier Neuntel auf Projekte zur Aufarbeitung des Holocausts.
Weiterhin unklar ist: erstens, auf welchem Weg der Bundeskanzler und IKG-Präsident Ariel Muzicant diese überaus komplizierte juristische Konstruktion fixiert haben. Und zweitens, ob es in Hinblick auf die Klimt-Bilder zusätzliche unbekannte Vereinbarungen gibt.