Weil Donald Trump und Hillary Clinton mit Fortdauer des Wahlkampfs | zunehmend unbeliebter werden, erwägen viele Amerikaner mittlerweile ernsthaft Alternativen.
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Washington. Absagen, die weh tun, schauen normalerweise anders aus. Aber weil im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 nichts normal ist, finden plötzlich selbst die von ausrangierten Sportstars ihren Weg in die Schlagzeilen. Im konkreten Fall die von Mike Ditka, dem ehemaöigen Chefcoach der Chicago Bears, mit denen er 1985 die Super Bowl gewann. Nach dem Willen Donald Trumps hätte der Schnauzbart-Träger, der seine politische Haltung als "ultra-, ultra-, ultra-, ultrakonservativ" umreißt, am Mitte Juli stattfindenden Parteitag der Republikaner eine Rede halten sollen. Eine so ungewöhnliche wie aus der Not geborene Lösung: Einerseits wünschte sich Trump mehr Prominenz für die Veranstaltung. Auf der anderen Seite laufen ihm die Parteifreunde davon. Bisher fand sich kein einziger auch nur halbwegs bekannter konservativer Politiker, der für den Immobilien-Magnaten in Cleveland das Wort erheben will.
Auch Mike Tyson will nicht
Trumps Plan, den Mangel an politischen Schwergewichten durch ehemalige Sportstars zu ersetzen, scheint den Schaden indes nicht zu mindern, sondern gar zu vergrößern. "Eine Rede bei der Convention zu halten ist nicht mein Stil. Im übrigen sind die Republikaner eine Bande von A---. Sie sollten sich geschlossen hinter Trump stellen", begründete Ditka seine Absage. Ebenfalls angefragt soll Trump bei Ex-Box-Champion Mike Tyson haben, der wegen Vergewaltigung im Gefängnis saß, und beim nicht minder berüchtigten Basketball-Coach Bobby Knight, der einst dafür bekannt war, seine Schützlinge im Fall der Befehlsverweigerung zu würgen.
Angesichts einer solchen Einladungspolitik und der damit einhergehenden politischen Positionen, die Trump zum designierten Anwärter seiner Partei aufs Weiße Haus machten - die Forderung nach dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko, einem Einreiseverbot für Muslime, nach Strafen für Frauen, die abtreiben, et cetera, et cetera - schauen sich mittlerweile immer mehr konservative, aber dem Populismus abholde Amerikaner nach einer Alternative um. Gleich tun sie es damit ihren politischen Gegnern aus dem linksliberalen Spektrum, die den Traum von einem Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders in den vergangenen Wochen endgültig begraben mussten und sich jetzt schwer damit tun, sich für Hillary Clinton zu erwärmen.
In die Lücken stoßen jetzt zwei Kandidaten, auf die man vor Beginn des Wahlkampfs keinen Pfifferling gesetzt hätte - die aber nunmehr in jenen landesweiten Umfragen, in denen ihre Namen inkludiert sind, zwischen fünf und zehn Prozent Wähleranteil auf sich vereinen können: Gary Johnson, der für die Libertarian Party antritt und Jill Stein von der Green Party.
Das Zünglein an der Waage
Praktische Chancen auf den Einzug ins Weiße Haus haben weder Johnson noch Stein. Aber wer in der Geschichte der US-Präsidentschaftswahlkämpfe nur ein paar Jahre zurückblickt, der weiß, wie selbst minimale Verschiebungen im Wählerverhalten den großen Unterschied ausmachen können. Schlag nach bei George W. Bush versus Al Gore 2000, als in Florida rund 100.000 Leute den grünen Kandidaten Ralph Nader wählten; alles linksliberale Stimmen, die den Demokraten am Ende fehlten, um Bill Clintons Vize auf den Chefsessel zu befördern.
Gary Johnson wird aufgrund des republikanischen Dilemmas derzeit deutlich mehr Aufmerksamkeit zuteil. Der 63-jährige ist so etwas wie ein verlorener Sohn der Konservativen. Von 1995 bis 2003 stand der passionierte Extremsportler für sie als Gouverneur dem Bundesstaat New Mexico vor. Auch sein Vize hat eine republikanische Vergangenheit: Bill Weld diente von 1991 bis 1997 als Gouverneur von Massachusetts. Wie ernst ihre Kandidatur zu nehmen ist, bestätigte jüngst einer, dessen Wort in gemäßigten Kreisen der Republikaner noch immer Gewicht hat: Mitt Romney, vor vier Jahren an Amtsinhaber Barack Obama gescheiterter Spitzenkandidat und ausgewiesener Trump-Gegner. "Wenn mein alter Freund Bill Weld an erster Stelle des Tickets stehen würde, müsste ich gar nicht erst lange nachdenken", sagt Romney: "Über Johnson muss ich mich erst genauer informieren. Er ist mir grundsätzlich sympathisch. Aber manche seiner mir bekannten Positionen sind problematisch."
Zur Entspannung einen Joint
Worauf Romney anspielt, sind weder Johnsons waghalsige Steuerpläne (Aufhebung der Einkommenssteuer, dafür Erhöhung jener auf Konsumgüter) noch sein außenpolitischer Isolationismus, der massive Truppenreduktionen im Ausland vorsieht; es sind seine nicht vorhandenen Probleme mit weichen Drogen. Der aus North Dakota stammende Politikwissenschafter ist nicht nur für die totale Freigabe von Marihuana. Er raucht sich nach eigenem Bekunden selber regelmäßig "zur Entspannung" einen Joint an.
Eine Position, die Johnson mit einem unterlegenen Kandidaten der Demokraten teilt - und jener Frau, die sich jetzt anschickt, in dessen Fußstapfen zu treten. "Keep the revolution going", "Lasst uns weitermachen mit der Revolution": Ein kaum verhüllter Anspruch auf den politischen Nachlass der Kampagne von Bernie Sanders schmückt die offizielle Website von Jill Stein. Angesichts der formalen Ausbildung der 66-jährigen Ärztin verblasst sogar der Lebenslauf Hillary Clintons. Nach dem Abschluss der Studien der Psychologie, Soziologie und Anthropologie, alle mit Auszeichnung und alle auf der Eliteuniversität Harvard, absolvierte Stein eine Ausbildung zur Medizinerin. Ab Mitte der Neunziger machte sich die in Chicago geborene Hobby-Musikerin (sie spielte lange in einer Folk-Rock-Band namens Somebody’s Sister) als Umweltaktivistin einen Namen. Ende der Neunziger schloss sich die langjährige Parteigängerin der Demokraten aus Ärger den Grünen an. 2002 war Stein erstmals als Spitzenkandidatin im Einsatz, im Kampf um den Gouverneursposten von Massachusetts erreichte sie mit 3,5 Prozent Stimmenanteil immerhin Platz drei. Der damalige Sieger: Mitt Romney, dem sie zehn Jahre später wieder begegnete, als sie sich erstmals ums Präsidentenamt bewarb. 2012 hielt sich ihr Erfolg aber in engen Grenzen: Gerade mal 469.501 Menschen landesweit machten ihr Kreuz bei Stein (0,36 Prozent). Diesmal rechnen sich die Grünen jedoch mehr Chancen aus, frustrierte Demokraten an Bord zu holen und die Umfragewerte scheinen ihr recht zu geben.
Nicht jeder darf ins Fernsehen
Wie real Steins und Johnsons Möglichkeiten sind, den großen Parteien und ihren Kandidaten tatsächlich ein Bein zu stellen, hängt vor allem von einem ab: dem Fernsehen. Letzten Sonntag beklagte sich Stein bei CNN über die ihrer Meinung nach "extrem ungerechte" Hürde, was die Einladungspolitik der Sender bei TV-Debatten angeht: Nur wer in ausgewählten Umfragen konstant bei oder über 15 Prozent liegt, darf live mit Hillary Clinton und Donald Trump diskutieren. Der letzte, der das schaffte, war Ross Perot 1992 - das aber nur mit enormem finanziellem Einsatz aus eigener Tasche.
Während Steins Basis an Geldgebern überschaubar ist, darf sich Johnson diesbezüglich zumindest Hoffnungen machen: Sollte in den nächsten Wochen und Monaten das eine oder andere Mitglied der Anti-Trump-Fraktion ernst machen und seine Börse für ihn und Bill Weld öffnen, wäre das eine unerhoffte Legitimation - und ein Sieg Clintons im Herbst damit praktisch fix.