Den "Brexiteers" in London wird jetzt klar, dass sie einige Details übersehen haben.
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Die Briten haben im Juni 2016 tatsächlich mehrheitlich für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt. Mittlerweile sind die Brexit-Gespräche mit der EU in der Endphase, es geht um die künftigen Handelsbeziehungen. Und es wird immer deutlicher, dass jene britischen Politiker, die 2016 für den Austritt getrommelt haben, die Sache nicht zu Ende gedacht haben. Ausschlaggebende Motive waren Fantasien über nationale Selbstbestimmung, über neue Größe und Macht. Alles andere wurde, auch von Boris Johnson, heute Premier und damals Londoner Bürgermeister, als nebensächlich abgetan.
Erst jetzt wird den "Brexiteers" klar, dass man einige Details übersehen hat. Denn der Verzicht auf Freihandel mit der EU hätte vor allem für die Briten enorm negative Auswirkungen. Ein substanzielles Freihandelsabkommen bringt es allerdings mit sich, dass die Briten viele EU-Regeln in vielen Feldern beibehalten müssten. Sonst wäre ein fairer Wettbewerb nicht möglich. Wie aber soll man den Wählern erklären, dass man aus der EU ausgetreten ist, wenn zahllose EU-Regeln weiter gelten?
Als Knackpunkt erweist sich einmal mehr Nordirland. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass dort spezielle Gesetze vermieden werden, die im Rest Großbritanniens nicht gelten. Denn dann wäre eine zollfreie "grüne Grenze" zwischen Nordirland und der Republik Irland nicht aufrecht zu erhalten.
Diese Widersprüche haben den einzigartigen Zickzackkurs Londons zur Folge, der die europäischen Partner zur Verzweiflung bringt. Jetzt sollen bereits getroffene verbindliche Abmachungen mit der EU durch ein nationales Gesetz "ein bisschen" ausgehebelt werden. Gut in Erinnerung sind die endlosen und immer wieder missglückten Versuche der britischen Regierung, das Austrittsabkommen mit der EU durch das eigene Parlament zu bekommen. Großbritannien präsentierte sich als zerstrittener, entscheidungsunfähiger Tollpatsch. Jetzt ist man dabei, seine internationale Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Wer will mit einem Land einen Vertrag abschließen, der dann nicht respektiert wird?
Beim Versuch, eine stolze, souveräne Macht zu werden, hat Großbritannien viel Terrain verspielt. Je mehr Zeit vergeht, desto klarer wird, dass man auf dem Holzweg ist.
Immerhin: Noch reden EU und Briten miteinander, eine Form der Lösung wird es geben müssen. Es ist allerdings mehr als unwahrscheinlich, dass Johnson objektiv als Sieger vom Platz gehen wird. Entweder wird er einen - desaströsen - "No Deal" als Sieg verkaufen, oder er wird große Zugeständnisse machen müssen.