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Auf dem Maskenball in "Mekka"

Von Yordanka Weiss

Politik
Wer Deutsch noch nicht kann, lernt es hier in etwa einem halben Jahr.
© Stanislav Jenis

Alle religiösen Feiertage und Bräuche werden gefeiert - und umgetauft.


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Wien. Leere Kinderwägen draußen, dutzende klingende Kinderstimmen drinnen: Der private Kindergarten "Mekka" in der Leystraße 69A in Wien-Brigittenau ist ein Anbieter wie alle anderen auch. Doch es gibt einen Unterschied: Neben der Hauptsprache Deutsch werden auch zusätzlich Arabisch und Englisch angeboten. Im Jahr 2007 hat die Ägypterin Souher Abada die erste Kinderbetreuungsstätte gegründet und sie "Mekka" getauft - nach der Geburtsstadt Mohammeds, des islamischen Propheten. Mekka ist auch Pilgerzentrum und heiligste Stadt der Muslime. Die Nachfrage ist groß: Mittlerweile sind es sechs Häuser geworden.

Der von Frau Abada geleitete Verein "Donya" ist für jeweils einen Kindergarten im 11., 15., 20. und 21. Bezirk verantwortlich, im 16. Bezirk gibt es zwei. In allen gilt das gleiche Sprachangebot. Souher Abada ist Mutter von drei Söhnen. Als sie einmal ihren Kindern am Sonntag beim Lernen zugesehen hat, fasste sie den Entschluss, einen Kindergarten zu gründen, in dem ihre Muttersprache gelehrt wird: "Meine Kinder haben Arabisch gesprochen. Die Schrift kannten sie aber nicht. Deshalb haben sie mit einem Lehrer geübt."

In Ägypten geboren, kam Souher Abada mit 14 Jahren nach Wien - es war der 14. April 1979, noch heute erinnert sich die gelernte Kindergärtnerin an den Tag. Pädagogische Erfahrung liege gewissermaßen in der Familie, sagt sie. Ihr Großvater leitete bereits eine Privatschule in einer kleinen Siedlung in der Nähe Kairos. Abada hat zunächst elf Jahre lang als Kindergärtnerin in Wien gearbeitet. Damals hat sie noch kein Kopftuch getragen, jetzt tut sie es schon. Von den Eltern werde sie aber nicht darauf angesprochen. Keiner habe gefragt, warum sie ihre Haare verdeckt.

Die Kindergartenkinder in "Mekka" stammen aus Serbien, der Türkei, Tunesien, dem Sudan, Ägypten, der Slowakei - und Österreich. Auch christliche Eltern, die in der Nähe des Kindergartens wohnen, schicken ihre Kinder hin. Etwa 20 Prozent der betreuten Kinder sind christlich. Zwei Gruppen von jeweils 25 Kindergartenkindern werden in der
Leystraße 96A betreut, hinzukommt eine Kinderkrippengruppe von 15 Kindern. Als Essensbeitrag zahlen die Eltern 121 Euro monatlich. Wer weniger als 1200 Euro Familieneinkommen hat, bekommt eine Förderung. "Im Unterschied zu vielen anderen Kindergärten kochen wir im Haus", betont Souher Abada. Zwei Köchinnen sorgen für das Essen, das vor allem in Dampf gegart wird. Schweinefleisch wird nicht angeboten. Keiner habe sich bis jetzt diesbezüglich aufgeregt.

Umgangssprache ist Deutsch

Eine Eltern-Box steht zur Sammlung von Rückmeldungen bereit. Viele vorgeschlagene Ideen wurden bereits umgesetzt, wie mehr Turnen und Bewegung, die Vorstellung neuer Kinderbücher, ein Sommerfest im Freien und noch vieles mehr. "Das Team ist sehr verantwortungsbewusst. Es freut mich, jeden Tag mit meiner Tochter ihre freundlichen Gesichter zu sehen", schrieb eine Mutter, deren Tochter seit zwei Monaten "Mekka" besucht, in einem Email an Souher Abada. "Ihre Herzhaftigkeit ist faszinierend und motiviert, am nächsten Tag wieder zu kommen."

Die Pforten von "Mekka" sind von 7 bis 17 Uhr geöffnet, die Mehrheit der Kinder bleibt ganztags. Die Hauptsprache ist Deutsch. "Dies ist das Gemeinsame: Kinder, Eltern und Pädagogen sprechen Deutsch untereinander", sagt Abada. Die Pädagogen beherrschen auch Serbisch, Persisch, Arabisch, Türkisch, Englisch, doch mit den Kindern kommunizieren sie nur auf Deutsch und nicht in der Muttersprache.

Vier Mal pro Woche wird Arabisch unterrichtet. Kinder, die kein Interesse haben oder aus einem anderen Kulturkreis kommen, weilen in der anderen Gruppe. Englisch wird für alle Vorschulkinder angeboten. Das Erlernen von Fremdsprachen basiert auf der Methode der Immersion, was so viel wie "Eintauchen" oder "Sprachbad" bedeutet: Das Gesagte wird durch Handlungen unterstützt, damit man die Situation durch die Handlung versteht.

"Kinder können viel speichern. Wir wollen diese Ressource nutzen", erläutert Souher Abada. Für sie stellt Verständigung die wichtigste Voraussetzung für Frieden und Toleranz dar. Man bemühe sich, das Gemeinsame zu suchen und zu finden. Wichtig sei das Kind, die Religion seiner Familie sei etwas Persönliches. "Da viele Kulturen vertreten sind, haben wir viele Feste zum Feiern", erklärt Feden Ekinci. Sie ist im Büro tätig und fungiert als Türkisch-Übersetzerin für jene Mütter, die Deutsch noch nicht so gut beherrschen. "Feiertage und Bräuche bekommen neue Namen, um diese allen Kindern verständlich zu machen", erzählt Ekinci. So wird etwa der Fasching Maskenball oder Kostümfest genannt.

Auch die Integration der Mütter ist ein Ziel des Vereins "Donya". Deshalb wird auch bei ihnen auf Informationsweitergabe und Verständnis geachtet. "Mütter müssen die Informationen verstehen, um diese im Interesse der Kinder umzusetzen", unterstreicht Ekinci. Nach anfänglicher Skepsis haben dann muslimische Eltern auch nichts dagegen, wenn ihr Kind einen Christkindlmarkt erstmals besucht.

Neue Kulturen entdecken

"Nicht jeder kann sich eine Weltreise leisten, um verschiedene Kulturen kennenzulernen", meint Abada. "Unser Kindergarten macht eine Reise durch viele Kulturen möglich." Um andere Kulturen näher kennenzulernen, werden täglich verschiedene Schwerpunkte gesetzt: Die Kinder bringen ihre jeweiligen Spielzeuge, die traditionelle Jause oder Kinofilme auf DVD von zu Hause mit. Wenn Eltern die Teilnahme an einem Fest nicht bewilligen, bleibe erfahrungsgemäß das Kind an diesem Tag zu Hause.

"Wachsam sein, den Beruf gut kennen, kinderlieb sein und viel Gefühl, Empathie und Verständnis für Menschen und Kulturen haben" - dies sei für ihren "24-Stunden-Job" wichtig, meint Souher Abada. Zwei ihrer Söhne sind im Verein "Donya" tätig. Einer davon - Ali Gamali - hat auch sein Kind in einen von der "Oma" geführten Kindergarten geschickt. Dort hat der Enkel erstmals vom Weihnachtsmann gehört.

"Das Angebot privater Einrichtungen ist in den letzten Jahren gestiegen", berichtet Ali Gamali. "Jetzt ist es leichter, einen Kinderbetreuungsplatz zu bekommen. Alle Anbieter müssen sich am Markt behaupten." Qualität zu erreichen sei leichter, als sie auch zu halten, meint Gamali im Rückblick.

In den Kindergarten "Mekka" kommen auch manche Kinder ohne Deutschkenntnisse. "Es dauert ungefähr ein halbes Jahr, bis die Kinder Deutsch beherrschen", sagt Souher Abada. Dass die Sprachkenntnisse "ihrer" Kinder zuletzt auf großes Lob eines Schuldirektors stießen, hat sie besonders gefreut.