Was Begutachtende am Gesetz zur Standortentwicklung begrüßen - aber auch kritisieren und vermissen.
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Wien. Am Freitag endet die Begutachtungsfrist für das neue Standortentwicklungsgesetz, das ab 2019 in Kraft treten soll. Zur Erinnerung: Die Umweltverträglichkeitsprüfung von Projekten, die von "besonderer Relevanz für den Wirtschaftsstandort" sind, soll möglichst zügig abgeschlossen werden. Passiert das nicht, wird das Projekt automatisch genehmigt. Laut Begutachtern birgt das Gesetz aber auch eine Reihe anderer Tücken - ein Überblick.
Mögliche Rechtsunsicherheiten
Der Städtebund und die Österreichische Rechtsanwaltskammer bezweifeln, dass der Gesetzesentwurf in allen Punkten verfassungskonform ist. Damit werde die Rechtsunsicherheit erhöht. Parteien wie Anrainer oder NGOs würden "um die rechtliche Möglichkeit gebracht, ihre Interessen wahrnehmen zu können", schreibt etwa Thomas Weninger in der Stellungnahme des Städtebunds, weil ein Vorhaben nach einem Jahr "als entscheidungsreif eingestuft werden kann".
Dem Gesetzesentwurf gemäß gilt die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nach spätestens einem Jahr, nachdem das Projekt als standortrelevantes Vorhaben eingestuft wurde, als erteilt. Weil die Regierung nur zwei Mal pro Jahr entscheidet, kann sich die Wartezeit auf bis 18 Monaten verlängern - was viele zur Forderung nach mehr Personal veranlasst, wie etwa Österreichs Elektrizitätswirtschaft, die das Gesetz zwar insgesamt als "in höchstem Maße positiv" bezeichnen, mehr personelle Ressourcen für die Behörden aber als "unumgänglich" sehen. Außerdem sei es problematisch, dass Genehmigungen "ex lege", also nur wegen der verstrichenen Frist erteilt werden, meint die Anwaltskammer. Das wiederum könnte weitere Verfahren und damit Verzögerungen nach sich ziehen. Außerdem werfe der Automatismus die Frage auf, wer im Fall für Schäden haftet, heißt es seitens der Juristen der Stadt Wien.
Umweltschutz - auch als Standortfaktor
Zahlreiche Umweltschutzorganisationen, aber auch die Universität für Bodenkultur und die Grünen sehen Rückschritte in Sachen Umweltschutz - und zwar nicht nur wegen nicht vollständig vollzogener Umweltschutzprüfungen. Bei den Kriterien für Standortrelevanz sind zwar Arbeitsplätze, ein "maßgebliches Investitionsvolumen" oder ein "nach Österreich stattfindender Wissens-, Technologie- und Innovationstransfer" erwähnt, nicht aber der Umweltschutz. "Dabei wird übersehen, dass was der Umwelt schadet, langfristig nicht gut für den Wirtschaftsstandort sein kann", sagt zum Beispiel Gernot Stöglehner, der die Begutachtung für die Universität für Bodenkultur verfasste. Werner Kogler, Bundessprecher der Grünen, bezeichnet diese Art der Standortpolitik im Zeitalter der Klimakrise drastischer als "rückwärtsgewandt, überholt und daher völlig retro!"
Mutwillige Verzögerungen
Zahlreiche Begutachter befürchten auch, dass die Betreiber solcher standortrelevanter Projekte das UVP-Verfahren mutwillig bis zur Zwölf-Monats-Frist verzögern könnten, um danach automatisch genehmigt zu werden. Es reiche schon, wenn man Unterlagen lückenhaft einreicht. Laut Kogler dauern die Verfahren derzeit durchschnittlich zwölf Monate und unvollständige Projektunterlagen seien der Hauptgrund für Verfahrensverlängerungen um bis zu acht Monate. Der Bau des Wiener Hauptbahnhofs wurde nach zehn Monaten Überprüfung genehmigt. Anderseits wird ein Autobahn-Abschnitt bei Linz von fünf Kilometern im Herbst nun erst nach zehn Jahren Verfahrensdauer zu bauen begonnen.
Unabhängigkeit des Beirats wird bezweifelt
Im Gesetzesentwurf ist auch ein Standortentwicklungsbeirat vorgesehen. Seine Aufgaben sind die Beurteilung der Vorhaben und Empfehlungen an die Regierung. Die Mitglieder werden von den Ministern bestellt. Das Ökobüro und andere sind deshalb der Ansicht, dass der Beirat "weder weisungsfrei noch unabhängig" arbeite. Kritisiert wird außerdem, dass das Gesetz keine fachlichen Qualifikationen vorschreibe. Der Beirat ist außerdem zur Wahrung des Amtsgeheimnisses verpflichtet - der Zugang zu den Informationen für die Bevölkerung also nicht gewährleistet. Vom Beirat als "nicht standortrelevante" eingestufte Projekte könnten das zum Beispiel im Sinne der öffentlichen Energieversorgung doch sein. Die Rechtsanwaltskammer kritisiert, dass das Einstufen in "relevante" und "nicht relevante" Vorhaben nicht mit den Gleichheitsgrundsatz vereinbar sei.
Säumnisbeschwerde bereits heute möglich
Einige Begutachter weisen auch darauf hin, dass man sich bereits bisher gegen zu lange Wartezeiten auf Genehmigungen wehren konnte: In der Stellungnahme der Juristen der Stadt Wien wird etwa die Säumnisbeschwerde erwähnt. Diese Möglichkeit sei aber kaum genutzt worden, im Gegenteil: "Es sind aber in den vergangenen 20 Jahren keine Fälle bekannt, in denen Projektwerber von UVP-pflichtigen Vorhaben davon Gebrauch gemacht hätten."