Hollands oscarnominierter Film "In Darkness" ist bis Sonntag zu sehen.
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Wien. Eine Grenzgängerin zwischen den USA und Europa - das ist Agnieszka Holland. Seit Francis Ford Coppola vor rund 20 Jahren ihren Film "Der geheime Garten" produziert hat, konnte sie auch ihren Platz in der US-Filmindustrie behaupten. Schauplatz und Produktionskapital ihrer Filme sind jedoch meistens nach wie vor in Europa. Das gilt auch für ihren jüngsten Streifen "In Darkness", der heuer für den Auslandsoscar nominiert wurde und beim "Let‘s CEE"-Filmfestival seine Österreich-Premiere feierte.
Das Drama über den polnischen Handwerker Leopold Socha, der 1943 einer Gruppe jüdischer Flüchtlinge unterstützte, die sich in der Kanalisation der Stadt Lvov versteckte, wurde in drei Ländern finanziert - Polen, Deutschland, Kanada. Vier Sprachen sind im Streifen zu hören: Polnisch, Deutsch, Ukrainisch, Jiddisch.
An den Grenzen bewegen sich auch Hollands Helden - wie Leopold Socha eben einer ist. Es sind freilich die Grenzen von Gut und Böse. "Besonders interessant sind für mich Menschen, die wählen können und deren Entscheidungen nicht selbstverständlich sind", erzählt Holland der "Wiener Zeitung". Die Betroffenen selbst würden oft nicht wissen, warum sie diese Entscheidung fällen, und nicht eine andere. Der lebensentscheidende Augenblick, der darüber bestimmt, ob man Held oder Verräter wird, unterliege "manchmal dem Zufall: Es kann die Begegnung mit einem Menschen sein, die dich in diesem einen Moment so prägt und dein Leben verändert."
Aus Zufall Held?
In einer solchen Lage war auch Leopold Socha: Aus purem Zufall fand er einige Juden, die dem sicheren Tod im Ghetto entkommen konnten. Die Hilfe für die Flüchtlinge war lebensgefährlich, Socha musste um das Überleben seiner eigenen Familie kämpfen, und gleichzeitig winkte für jeden geschnappten Juden eine Belohnung durch die Nazis. Socha war nicht von Anfang an der entschlossene Retter, der er zuletzt wurde. Wie es dazu kam, bleibt für Holland ein Geheimnis. "Wenn der Held spektakulär ist, finde ich das nicht so interessant, sondern wenn er ein Seil entlang tanzt und auf die eine oder andere Seite fallen kann." Bis zum Sonntag (3. Juni) ist "In Darkness" im Rahmen des Filmfestivals noch im Apollo Kino zu sehen. Der Streifen ist in betont authentische Bilder eingetaucht, die jedes "Hollywood-Design" vermeiden.
Die Filmemacherin hat sich schon öfters mit dem Holocaust auseinandergesetzt. Im deutschsprachigen Raum wurde Holland besonders mit "Hitlerjunge Salomon" bekannt. "Ich hoffe, es wird der letzte Film sein. Genug ist genug." Doch Holland lässt sich weiterhin von realen Ereignissen inspirieren. Auch in ihrer nächsten Produktion, einem dreiteiligen TV-Film, geht es um Zeitgeschichte: Im Zentrum steht Jan Palach, jener tschechoslowakische Student, der sich 1969 aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst verbrannte. Die Dreharbeiten sind bereits abgeschlossen, im Jänner 2013 wird die Serie ausgestrahlt. Für Holland ist es auch eine persönliche Geschichte, nicht nur eine historische, weil sie damals selber als Studentin in Prag war. "Ich war Teil des Geschehens. Es war mein erstes wichtiges politisches Erlebnis, das mich geprägt hat und zu dem gemacht hat, der ich bin." Sie verbrachte damals sechs Wochen im Gefängnis wegen ihres Einsatzes für Reformen.
In einigen ihrer Filme ging die polnische Filmemacherin noch weiter in die Vergangenheit zurück. "Klang der Stille" aus dem Jahr 2006 beleuchtet die letzten Lebensjahre Ludwig van Beethovens, "Total Eclipse" behandelt die komplizierte Beziehung zwischen den beiden Dichtern Paul Verlaine und Arthur Rimbaud, den Leonardo DiCaprio spielt. Zwei Typen von Charakteren wecken ihr Interesse, erzählt sie: "Zum einen jene, die völlig unbekannt sind, zum anderen die Genies. Diese beiden Arten von Menschen begegnen sich auf einer sehr menschlichen Ebene, auf der sie beide gewissermaßen nackt sind - ohne ihre Größe und ihr Genie - und mit jenen existenziellen Problemen konfrontiert sind, die uns alle betreffen."
Agnieszka Holland ist nicht nur auf Europa fixiert: Sie hat sich auch filmisch mit der US-amerikanischen Lebensrealität befasst. "Aber mein Blickwinkel - das Fehlen moralischer Schlussfolgerungen - macht mich mehr europäisch als amerikanisch. Amerikaner haben Probleme mit manchen meiner Filme. Sie sind nicht klar genug für sie. Sie wollen ein geschlossenes Ende. Ich glaube nicht, dass wir zu solchen Enden in der Lage sind.
Die Situation des europäischen Kinos könnte bald besser werden, meint Holland, paradoxerweise wegen der Wirtschaftskrise und der aufbrechenden Fragen nach Europas Identität. "Nach dem Jugoslawien-Krieg sah es so aus, als könnten wir immer reicher und glücklicher werden. Das europäische Kino hat nicht über wichtige Dinge gesprochen, weil es die Leute nicht hören wollten. Die Menschen wollten nur Spaß haben. Nun spürt man, dass die Lage wie auf der Titanic wird. Was machen wir mit unseren Leben? Die Menschen gehen wieder wegen wichtiger Dinge ins Kino."