Die Frustration über Europas Krisen macht auch vor Festveranstaltungen nicht halt - und bleibt nicht unbeantwortet.
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Drei Präsidenten zu einer Veranstaltung zu bringen, ist nicht einfach. Doch zu ihrem 20-jährigen Bestandsjubiläum hat es die Brüsseler Denkfabrik EPC (European Policy Centre) geschaffen. In den Festhallen des Palastes der Akademien, wo mehrere Fakultäten ihren Sitz haben und sich gleich um die Ecke der Königspalast erhebt, konnte sie die Präsidenten von EU-Parlament, -Kommission und -Rat begrüßen. Martin Schulz, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk waren gekommen, um sich mit anderen Politikern und Wissenschaftern Gedanken über die Zukunft der Europäischen Union zu machen.
Doch zu feiern, wie schon bald ein Diskutant feststellte, gibt es wenig. Von einer Krise in die nächste getrieben, von Unsicherheiten und Zukunftsängsten geplagt, erstmals mit dem konkreten Austrittswunsch eines Mitglieds konfrontiert, plagt sich die Gemeinschaft mit Herausforderungen, die von innen wie von außen kommen. Vom notwendigen Zusammenhalt, von der Wichtigkeit des Dialogs, von einem Narrativ, der populistisch einfachen Antworten etwas entgegensetzt, war daher viel die Rede. Und davon, dass auch dies nicht reichen werde, sondern die EU "endlich liefern" müsse. Der polnische Politiker und frühere Außenminister Radoslaw Sikorski fasste es so zusammen: "Wir sind nicht zu pessimistisch, sondern zu passiv." Gleichzeitig warnte er davor, den Populismus, der ein verschwommener und vielseitig interpretierbarer Begriff sei, allein für das Auseinanderdriften in den Gesellschaften verantwortlich zu machen. Vielmehr gehe von den Abschottungstendenzen des Nationalismus eine Gefahr für das gemeinsame Projekt aus.
In Zusammenhang damit ist aber noch etwas bedroht: das liberale Modell. Es war ebenfalls ein Pole, der deutliche Worte dafür fand. "Die anti-liberalen Stimmen werden lauter, und die Rufer rücken von den Rändern in die Mitte", sagte EU-Ratspräsident Tusk. "Wandel um des Wandels willen wird zum Fetisch." Denn die Forderung nach Änderungen - ob der EU-Verträge, der Institutionen oder der Balance zwischen nationalen und europäischen Kompetenzen - wird immer wieder gerade von jenen erhoben, deren Programm über das Schlagwort "Gegen das Establishment sein" nicht weit hinausreicht.
Das aber kann auch die Werte untergraben, die die EU als fundamental für sich ansieht und die der 59-jährige Tusk als einen Katalog bezeichnet, den "meine Generation auswendig kennt": Liberalismus, Konservatismus und Sozialismus. Menschenrechte inklusive Meinungs- und Religionsfreiheit. Freie Marktwirtschaft mit einer fairen Verteilung von Waren. Toleranz und politischer Pluralismus.
Dass es all das zu verteidigen gelte, ist für Tusk klar. Genauso wie das, welches Signal die EU auszusenden habe: "Wir müssen jeden Tag zeigen, dass liberale Demokratie nicht das Synonym für Schwäche ist."
Denn es geht nicht nur um den Erhalt der EU, beim "Vorgehen gegen ein rückschrittliches und illiberales Europa", wie die EPC-Experten in ihrem so betitelten Analysepapier schreiben. Auf dem Spiel stehe mehr: "Es geht um unsere Art zu leben; darum, offene, kooperative, einbindende, freie und internationalistische Gesellschaften zu sein."