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Auf dem Wartegleis

Von den WZ-Korrespondenten Krsto Lazarevic und Zana Cimili

Politik

Immer mehr Flüchtlinge versuchen über die Westbalkan-Route in die EU zu gelangen. Zehntausende machen einen Zwischenstopp im mazedonischen Gevgelija. Dort haben sie drei Tage Zeit, um weiterzukommen.


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Gevgelija. (n-ost) Das Warten hat Suher Yosef müde gemacht. Sie sitzt mit ihren drei Kindern am Bahnhof in der mazedonischen Grenzstadt Gevgelija. Vor Monaten ist die Lehrerin aus der Ruinenstadt Kobane geflohen, sie kam über die türkische Stadt Izmir mit einem Schlauchboot nach Griechenland. Dort brachte sie ihre Tochter Perwa zur Welt, die inzwischen einen Monat alt ist. 1600 Euro für sich und 1250 Euro für ihren älteren Sohn Jamal habe sie dem Schlepper bezahlt, erzählt die junge Mutter.

Suher Yosef ist eine von tausenden Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und dem Krisenherd Afghanistan, die derzeit auf dem Bahnhof von Gevgelija ausharren. Sie kommen zu Fuß aus Griechenland, haben illegal die Grenze zu Mazedonien überquert. Eigentlich müssten sie laut Gesetz in Griechenland bleiben, weil dies das erste EU-Land ist, das sie betreten haben. Doch weil die Zustände in dem Krisenland zu schwer sind, darf kein Staat der Europäischen Union sie dorthin zurückschicken.

Nur drei Tage Zeit

Die Lage auf dem Bahnhof von Gevgelija ist dramatisch: Weinende Kinder liegen auf dem Boden, in den Gesichtern vieler Erwachsenen steht bittere Enttäuschung. Laut den mazedonischen Behörden ist die Zahl der Flüchtlinge innerhalb kürzester Zeit von 400 auf 2000 pro Tag gestiegen. Suher Yosef und die anderen Flüchtlinge hier wollen nur eins: Einen der überfüllten Züge ergattern, die von hier nach Serbien fahren. Von dort will Suher weiter nach Ungarn, um auf den Boden der EU zu gelangen. Die Zeit drängt. Die ungarische Regierung macht die Grenze dicht. Dazu baut sie derzeit einen 175 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Serbien, der bereits Ende August fertig sein soll. Die Pläne der ungarischen Regierung haben sich herumgesprochen. Deswegen machen sich nun immer mehr Menschen auf den Weg, um noch über die grüne Grenze von Serbien aus in die EU zu gelangen. "Ich habe große Angst. Wir werden einen Ort suchen, an dem man noch über den Zaun kommt" sagt Suher.

Mazedonien, eines der ärmsten Länder auf dem Balkan, ist mit dem Ansturm überfordert. Es möchte die Flüchtlinge so schnell wie möglich loswerden. Seit kurzem gilt deshalb ein neues Gesetz: Flüchtlinge müssen sich registrieren, dann haben sie 72 Stunden Zeit, das Land zu verlassen. Bahnen und Busse dürfen sie zur Ausreise umsonst benutzen. Neben den vier regulären Zügen pro Tag haben die mazedonischen Behörden deshalb noch zwei bis drei Sonderzüge eingerichtet, die täglich völlig überfüllt Richtung Serbien rollen.

Begrenzte Mittel

Die Flüchtlinge müssen sich bei der Grenzpolizei am Bahnhof in Gevgelija melden. Die Warteschlange für den Passierschein ist lang, die Temperaturen sind hoch. Manche warten lieber in der Nacht, damit sie nicht stundenlang in der glühenden Sommersonne ausharren müssen. Dann beginnt der Wettlauf gegen die Zeit: Binnen drei Tagen müssen sie das Land verlassen.

Das Rote Kreuz und das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen haben Zelte und Toiletten für die Menschen errichtet, die rund um den Bahnhof schlafen. Ein Helfer des Roten Kreuzes sagt: "Die Gruppen werden immer größer, und viele Menschen benötigen medizinische Hilfe." Eine Bürgerinitiative verteilt Essen. Weil der Bedarf so groß ist, bekommen an manchen Tagen nur Kinder und Frauen etwas. Der Aktivist Avni Asllani sagt: "Die Menschen brauchen viel mehr als ein Sandwich, aber leider sind unsere Mittel begrenzt."

Die Menschen in Gevgelija sind trotz ihrer Erschöpfung bereit, alles zu tun, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Wie Muhamet, ein 26-jähriger Telekommunikationsingenieur aus Damaskus. Er ist wie Suher Yosef auf dem Seeweg nach Griechenland gekommen. 51 Menschen zwängten sich in ein Schlauchboot, erzählt er. Zwei Stunden, bevor sie ankamen, ging das Benzin aus: "Alle an Bord haben mit ihren Händen gepaddelt, damit wir an unser Ziel gelangen. Nur die Kinder schliefen, weil ihnen Schlaftabletten verabreicht wurden", erinnert sich Muhamet.