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Auf dem Weg zum Diktator

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Tunesiens Präsident Saied trat als Hoffnungsträger für die Demokratie an - und täuschte alle.


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Er sei ein Rassist, schrien Menschenrechtler in Tunesien und gingen vergangenes Wochenende gegen ihren Präsidenten auf die Straße. Auch die Afrikanische Union (AU) fand ungewöhnlich scharfe Worte gegen das, was Kais Saied gesagt hatte. Die AU sei zutiefst geschockt und beunruhigt über den Inhalt seiner Äußerungen. Das verstoße gegen die Doktrin der 55 Länder zählenden Allianz, Flüchtlinge gleichberechtigt und mit Würde zu behandeln, egal woher sie aus Afrika kämen. Saied hatte die Ausweisung nicht registrierter Migranten aus Tunesien gefordert, weil sie Tunesiens Demografie verändern und bedrohen würden. Eine bemerkenswerte Aussage für einen Staatschef, dessen vor allem junge Bevölkerung zuhauf ebenfalls auswandert, weil die Situation im Land immer unerträglicher wird.

Der Professor für Verfassungsrecht an der Universität Tunis hat alle getäuscht. Saied wurde 2019 mit großer Mehrheit zum Präsidenten Tunesiens gewählt, sein damaliges Bekenntnis zur Demokratie überzeugte. Auch die westlichen Diplomaten. So hielt die schwedische Botschafterin in Tunis noch fest zu ihm, als er zwei Jahre später das Parlament suspendierte und Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Organisationen von einem Staatsstreich redeten. Er wolle mit den Islamisten aufräumen, beschwichtigte Anna Block, danach kehre er auf den richtigen Weg zurück.

Kritiker verhaftet

Inzwischen hat der Wolf im Schafspelz sich geoutet und entwickelt sich zielstrebig zu einem Diktator. Dabei war Tunesien der Hoffnungsträger des sogenannten Arabischen Frühlings, den Aufständen vornehmlich junger Menschen im Nahen und Mittleren Osten, die nach Horreja, nach Freiheit schrien und dafür massenweise auf die Straßen gingen.

Seitdem Saied an der Macht ist, wird diese Freiheit immer weiter eingeschränkt. Vergangene Woche gab die Republikanische Partei die Festnahme ihres Chefs, Issam Chebbi, bekannt. Chebbi zählt zu den prominentesten Kritikern des Präsidenten. Außerdem wurde nach Angaben ihrer Anwälte die Politikerin Chaima Issa von der Nationalen Heilsfront, einer NGO, die 2012 nach den Protesten und der Flucht des tunesischen Langzeitautokraten Zine Ben Ali die Übergangsregierung mitverhandelte, festgenommen. Schon in den vergangenen Wochen wurden Politiker, Geschäftsleute, Journalisten und ehemalige Richter in Haft genommen. Unter den Festgenommenen ist auch der Chef des Radiosenders Mosaique FM, Noureddine Boutar. Mosaique FM ist der größte tunesische private Radiosender und eines der wenigen Medien, das auch nach der Machtübernahme von Saied weiter kritisch berichtete und regelmäßig Oppositionelle zu Wort kommen lässt.

In allen Fällen wurde offiziell nicht bekanntgegeben, was den Festgenommenen konkret vorgeworfen wird. Tunesische Medien berichten jedoch, sie würden beschuldigt, eine Verschwörung gegen die Sicherheit des Landes zu planen. Doch nicht nur Verhaftungen sollen Kritiker mundtot machen. Vergangenen Montag wurde die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes ETUC, Esther Lynch, aus Tunesien ausgewiesen. "Nachdem Präsident Saied sich selbst zum obersten Staatsanwalt erhoben hat und Richter links und rechts feuert, geht er nun gegen seine Kritiker vor", klagt die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch an. Er nenne die Kritiker "Terroristen". Das kennt man schon aus Ägypten und Syrien kennt, wo die Aufstände des Arabischen Frühlings längst gescheitert sind. In beiden Ländern herrschen stramme Diktaturen, in Ägypten das Militär, in Syrien wieder Gewaltherrscher Assad.

Und auch in Tunesien ist zu beobachten, dass die Bevölkerung sich von der Politik verabschiedet. Die beiden Runden der Parlamentswahl - im Dezember und Jänner - waren nur auf geringes Interesse gestoßen. Es beteiligten sich jeweils nur gut elf Prozent der Stimmberechtigten. Ähnlich verlief es in Ägypten. Die Wahlbeteiligung sollte den Machthabern eigentlich Signal genug dafür sein, dass sie die Mehrheit ihrer Landsleute nicht mehr hinter sich haben. In Tunesien keimte ein kurzer Hoffnungsschimmer auf, dass Präsident Saied jetzt die Botschaft verstanden habe. Doch weit gefehlt. Er zieht die Schraube der Einschränkungen nur noch weiter an.

Zwölf Jahre ist es her, dass der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in einem kleinen Dorf sich selbst verbrannte und damit die Rebellion auslöste, die bald den gesamten Nahen und Mittleren Osten erfasste. In einigen Ländern gingen die Menschen massenweise unmittelbar danach auf die Straße, wie in Ägypten, Jemen und Syrien. In anderen dauerte es länger, bis das Volk sich gegen die autokratischen oder korrupten Machthaber erhob, wie im Libanon oder dem Irak. Während in den meisten dieser Staaten längst wieder Autokraten oder die alte Elite an der Macht sind, wirkte Tunesien wie ein Fels in der Brandung.

Weniger Touristen und Jobs

Doch auch hier konnte die Demokratie nicht wirklich Fuß fassen. Die Wirtschaft liegt im Argen, junge Tunesier - auch hier die Mehrheit der Bevölkerung, wie in der gesamten Region - finden keine Jobs. Das Leben ist nicht besser geworden. Hinzu kommt, dass der Tourismus, Haupteinnahmequelle des Mittelmeerlandes, noch immer nicht das Niveau von vor der Rebellion erreicht hat.

Und hier müssen sich die westlichen Länder Kritik gefallen lassen. Anstatt Tunesien insofern zu unterstützen, fahren österreichische, deutsche, britische, französische und sonstige Europäer lieber nach Ägypten, wo längst schon wieder eine stramme Diktatur mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen herrscht, als in das gebeutelte Tunesien, das diese Touristen so sehr gebrauchen könnte.