Zum Hauptinhalt springen

Auf dem Weg zur Weltpolizei

Von Wolfgang Tucek

Politik

Die NATO einigte sich in Madrid auf eine gemeinsame Linie bei Präventivschlägen. Querelen gab es trotz gegenteiliger Erklärungen um die Vormachtstellung innerhalb der Organisation zwischen den USA und der EU. Aufhänger waren der Bosnien-Einsatz und der Irak-Konflikt. Die ersten reinen EU-Friedenstruppen sollen im Kongo zum Einsatz kommen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Am NATO-Gipfel in Madrid waren die Bemühungen groß, das transatlantische Tauziehen um die Dominanz auf den weltpolitisch relevanten Krisenherden von einem Mantel der Einigkeit zu überdecken. Nach dem schnellen militärischen Erfolg im Irak war man sich tatsächlich eins, dass die NATO notfalls auch präventiv an den Gefahrenherden der Erde präsent sein müsse. Die Vormachtstellung innerhalb der Organisation ist aber weiterhin ein Zankapfel zwischen der EU und den USA, wobei die letzte Großmacht der Welt aus aktuellem Anlass ihre Interessen rhethorisch mit denen der NATO gleichsetzte.

"Wir müssen überall dorthin, wo die Gefahren sind", umriss NATO-Generalsekretär George Robertson die von den USA getragene Maxime der "effektivsten militärischen Organisation der Welt". Die EU wollte der schon lange im Raum stehenden US-Forderung nach verstärktem Engagement in Bosnien nachkommen, und erklärten sich erneut bereit das Kommando über die dort stationierte SFOR-Mission zu übernehmen. Die US-Delegierten überraschten mit einer Ablehnung des Ansinnens und bezeichneten die Überlegungen als "verfrüht". Mit der Suche nach Kriegsverbrechern und der Terrorismusbekämpfung gebe es für die NATO noch genug zu tun, erklärte ein US-Regierungsvertreter.

Trotzdem stimmten die EU-Staaten einer Unterstützung der polnischen Truppen im Irak und damit einem NATO-Einsatz im Fahrwasser des US-Krieges zu. Schließlich wird auch das Kommando über die Afghanistan-Schutztruppen ISAF diesen August von der NATO übernommen, erklärten die Delegierten als Zeichen der Einigkeit. Am Rande des Treffens wurde dem ersten militärischen EU-Friedensprojekt ohne Beteiligung der NATO im Kongo der Weg geebnet.

Österreichs Außenministerin Ferrero-Waldner bemühte sich um eine Glättung der Wogen und plädierte für ein umfassendes Sicherheitskonzept von EU und NATO und insbesondere um eine intensivierte Zusammenarbeit auf dem Balkan. "Die gemeinsame Strategie für den Westbalkan ist sehr wichtig, wo EU und NATO der Stabilisierung ein Ziel voranstellen. Wir sollten keine Konkurrenten sein, sondern wir sollten miteinander arbeiten, um die bestmöglichen politischen Ziele zu verfolgen", erklärte Ferrero-Waldner.

Der deutsche Außenminister Joschka Fischer betonte die Wichtigkeit einer Stärkung des transatlantischen Verhältnisses. Aber ein neuer ein Schatten taucht über der seit dem Irak-Krieg gespannten Beziehung zwischen den USA und Deutschland: Westliche Diplomaten und rumänische Regierungsbeamten haben der Nachrichtenagentur AP Informationen zugespielt, wonach die US-Streitkräfte entgegen offiziellen Dementis 15.000 Soldaten aus Deutschland abziehen und in Basen nach Rumänien und Bulgarien verlegen wollen.

Fischer meinte, es sei fraglich, ob die Stärkung Europas außerhalb oder innerhalb der Institutionen umgesetzt werde. Einen Alleingang ohne NATO-Unterstützung will die EU jetzt wagen: Sie beschloß die Entsendung von Friedenstruppen in den umkämpften Ostkongo unter französischem Kommando. Der offizielle Beschluss über die Operation "Artemis" soll heute beim Justiz- und Innenministertreffen in Luxemburg gefällt werden. Die Franzosen werden rund die Hälfte der vorläufig rund 1.400 Soldaten stellen. Nach Angaben der französischen Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie bot neben Belgien, Spanien, Italien und Großbritannien auch Deutschland seine Hilfe an. Ein Vorauskommando soll bereits an diesem Wochenende eintreffen. Die Soldaten sollen bis zum 1. September im Kongo stationiert bleiben.