Zum Hauptinhalt springen

Auf den Feldern statt in der Schule

Von WZ-Korrespondent Denis Meraru

Europaarchiv

Kinder im Herbst zu Erntearbeiten herangezogen. | Eltern sind auf mageren Zuverdienst angewiesen. | Bukarest. Wie jedes Jahr ziehen auch diesen Herbst mehr als 5.000 moldawische Schulkinder für einen Monat in die Weinberge, um nach offiziellem Sprachgebrauch ein "Praktikum" abzuleisten. Die Kinder zwischen acht und fünfzehn Jahren müssen Weintrauben ernten, für die Verpflegung haben die Eltern aufzukommen. Für ihre Arbeit erhalten die Kinder pro Saison insgesamt 40 Euro, Geld, das ihre Familien unbedingt brauchen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Profite für Bauern

Ein altes Gesetz aus kommunistischer Zeit, wonach Schulkinder in Arbeitsbrigaden eingeteilt werden dürfen, beschert den Besitzern der Weingüter riesige Profite. Denn moldawischer Wein ist inzwischen begehrt, nicht nur im Land selbst sondern auch auf den Exportmärkten. Um die Kinder kümmert sich jedoch niemand.

Kinderarbeit ist in ganz Osteuropa verbreitet, doch ist die Lage in Moldawien besonders eklatant. Dort kann man für 100 Dollar ein Kind kaufen. Tausende dieser Kinder-Arbeitskräfte werden pro Jahr an Vermittler verkauft, die Gesetze, die zum Schutz der Kinder erlassen wurden, werden dabei missachtet - und die Regierung schaut weg. Victor Tvircun, der moldawische Erziehungsminister, hat die landwirtschaftliche Arbeit von Schulkindern sogar ausdrücklich genehmigt. Selbst ein staatliches Forschungsinstitut nahe der Hauptstadt Chisinau setzt auf seinen Kartoffelfeldern und Zwiebelplantagen Schulkinder ein.

Manche Minderjährige werden wie Sklaven nach Rumänien verfrachtet, denn dort verdienen sie mehr als in Moldawien. Die meisten sind weniger als 16 Jahre alt. Für 300 Kilogramm Äpfel und einen zehnstündigen Arbeitstag erhalten sie umgerechnet drei Euro. Davon behält der Bauer noch einen Euro für Essen und Unterkunft, Leistungen, die miserabel sind. Als Verpflegung erhalten die Kinder ein Brot, Bohnen und einige Scheiben Wurst. Zum Vergleich: Für einen rumänischen Häftling gibt der Staat pro Tag drei bis vier Euro aus.

Vor zwei Jahren entdeckten die rumänischen Behörden 200 moldawische Kinder, die auf mehreren Höfen bei Iasi im Osten Rumäniens arbeiteten. Die Bauern wurden zu Strafzahlungen bis zu 2000 Euro verurteilt. Doch dies hielt sie nicht davon ab, weiterhin Kinder aus Moldawien als Arbeitskräfte zu halten. Für sie sind die moldawischen Kinder so profitabel, dass sie sich weder um die Gesetze noch um die viel zu niedrigen Strafen kümmern. Ein Bauer sagte, er könne mit 70 moldawischen Kindern über 100 Tonnen Früchte in nur einer Woche ernten.

EU-Kandidat macht mit

In einem anderen Fall, auf einer Schweinefarm im Süden Rumäniens, konnten die Behörden nichts Illegales erkennen. Dort arbeiten die Kinder wie Sklaven. Nach Hause dürfen sie nur zu Weihnachten. Da sie von ihren Eltern für 20 Euro pro Monat an die Bauern vermietet wurden, werden sie nach Ansicht der Behörden nicht zur Arbeit gezwungen. Doch nicht nur moldawische, sondern auch rumänische Kinder müssen arbeiten. Nach Angaben des Nationalen Statistischen Instituts arbeiten in Rumänien mehr als 70.000 Kinder unter 16 Jahren. Die Arbeit wirkt sich negativ auf ihre Gesundheit aus, auf ihre emotionale und körperliche Entwicklung und ihre Schulbildung. Obwohl Rumänien 2007 der Europäischen Union beitreten will, werden die Rechte der Kinder kaum respektiert. Die EU hat die Kinderarbeit bereits gerügt und Rumänien aufgefordert, die Situation armer Kinder zu verbessern. Bisher kann das Land hier nur wenige Fortschritte vorweisen.