"In der schlechtesten aller Welten": Von Schopenhauer über Beckett bis zu Helene von Druskowitz wurden Weltekel und Lebensüberdruss geistesgeschichtlich nobilitiert. - Zur Philosophie des Pessimismus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Angesichts von Massenexekutionen, Terrorattentaten und brutal geführten Kriegen in Syrien, im Irak oder in der Ukraine hat der Pessimismus Konjunktur. Bereits Arthur Schopenhauer - der eigentliche Begründer des philosophischen Pessimismus - sprach von einer katastrophalen Lage des Menschen. Sein Befund lautete: "Der Mensch ist im Grunde ein wildes, entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zustande der Bändigung und Zähmung, welcher Zivilisation heißt".
Überall sieht der Philosoph nur Leid, Schmerz, Verwundung, Verstörtheit, Angst, Grausamkeit, Folter und Mord; das Weltgeschehen weist keine Tendenz zur Humanität auf, sondern ist der Schauplatz eines erbarmungslosen Gemetzels, das der Literaturwissenschaftler Ulrich Horstmann in seinem Buch "Das Untier" "als eine sich Jahrtausend und Jahrtausend fortsetzende Litanei des Hauens, Stechens, Spießens, Hackens, als Monotonie des Schlachtens und Schädelspaltens" beschreibt.
Schopenhauers pessimistische Grundhaltung richtete sich gegen die Repräsentanten einer optimistischen Philosophie, wie sie speziell Gottfried Wilhelm Leibniz vertrat. Der deutsche Philosoph, der von 1646 bis 1716 lebte, hatte das Leid und das Böse in der Welt theologisch-moralisch gerechtfertigt und dafür die Formel von der Welt als der "besten aller möglichen Welten" verwendet, die sich durch eine Überfülle, durch ein Verlangen nach Glückseligkeit, durch ein "großes Ja-Sagen zur Welt" auszeichnet.
Dieser idyllischen Weltanschauung stand Schopenhauer mit größter Skepsis gegenüber. "Wenn man den verstocktesten Optimisten durch die Krankenhospitäler, Lazarette und chirurgischen Marterkammern, durch die Gefängnisse, Folterkammern und Sklavenställe, über Schlachtfelder und Gerichtstätten führen wollte", schrieb Schopenhauer, "so würde er sicherlich bald einsehen, welcher Art die beste aller möglichen Welten beschaffen ist."
Leopordis Weltelend
Ähnlich empfand der italienische Philosoph und Dichter Giacomo Leopardi, der zu den bedeutendsten Repräsentanten der Romantik zählt. Sein Lebenswerk spiegelt das allmähliche Eintauchen in den Pessimismus wider. Leopardi, der von 1798 bis 1837 lebte, war der Sohn eines autoritären Grafen. Unter väterlicher Aufsicht erhielt er eine umfassende humanistische Ausbildung. Mit elf Jahren übersetzte er aus dem Lateinischen; mit 14 Jahren verfasste er zwei Tragödien.
Leopardi sah sich selbst als Dichter. Frühzeitig auftretende körperliche Leiden und eine Augenerkrankung brachten ihn dazu, "den Beruf des Philosophen anzunehmen und die Glücklosigkeit der Welt zu spüren und nicht bloß zu kennen". Als Philosoph befasste er sich - ähnlich wie Arthur Schopenhauer - fast ausschließlich mit dem Elend der Welt, das er auch in seinen Gedichten thematisiert. Ein Höhepunkt im literarischen Schaffen Leopardis ist das Gedicht "An sich selbst", in dem der Dichter sein Lebensgefühl auf den Punkt bringt: "Bittere Öde / Ist einzig noch das Leben, Schlamm die Welt".
Die "bittere Öde des Lebens" veranlasste Leopardi, sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen. Er lebte gleichsam als Eremit, der damit befasst war, die verschiedenen Facetten des Pessimismus sowohl in seiner Lyrik als auch in seinen philosophischen Texten zum Ausdruck zu bringen. Leopardis existenzielles Grundgefühl war die "Noia", eine Mischung von metaphysischer Langeweile und dem Gefühl einer alles bestimmenden Leere - "der unfruchtbarste aller menschlichen Zustände. Sie ist die Tochter der Vergänglichkeit und die Mutter des Nichts. Und sie ist nicht nur an sich unfruchtbar; alles, was sich ihr nähert und was sie durchdringt, wird ihr darin gleich".
Die "Noia" bewirkte bei Leopardi einen existenziellen Lebensüberdruss, der in einen universellen Pessimismus mündete, der die Natur und den Kosmos miteinbezog. In dieser Phase befand sich Leopardi - um mit dem rumänischen Kulturphilosophen Emile Cioran zu sprechen - "auf den Gipfeln der Verzweiflung". Es war dies ein Zustand, der von Leopardi in seinem philosophischen Hauptwerk "Zibaldone" eindringlich geschildert wurde: "Alles ist nichtig in der Welt, auch meine Verzweiflung. Ich Elender, nichtig und auch nichtig ist mein Schmerz, der nach einer gewissen Zeit vergangen und vernichtet sein wird, um mich in einer kosmischen Leere und in einer schrecklichen Gleichgültigkeit zurückzulassen, die mich unfähig machen wird, Schmerz zu empfinden".
Die pessimistischen Reflexionen von Schopenhauer und Leopardi tauchen auch im Werk des irischen Schriftstellers Samuel Beckett auf. Beckett hatte sich speziell in seiner Jugendzeit mit Schopenhauer intensiv auseinandergesetzt. Kaum ein anderer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts hat die Aussichtslosigkeit der menschlichen Existenz und das Scheitern so propagiert wie Beckett. Seine Devise lautet: Das Leben muss gelebt werden, auch wenn es von einem stetigen Scheitern begleitet wird. "Wieder scheitern. Besser scheitern", heißt es in seinem Text "Worstward Ho" ("Aufs Schlimmste zu").
Becketts Antihelden
In späteren Jahren hat Beckett seinen Pessimismus noch erweitert. Die Protagonisten seiner Romane und Theaterstücke wie Wladimir, Estragon, Hamm, Clov, Molloy oder Malone vegetieren nur mehr als Restposten menschlichen Existierens. Der Roman "Molloy" schildert den körperlichen und geistigen Zerfall der Titelfigur. Er wohnt im Zimmer seiner Mutter; wie er da hingekommen ist, weiß er nicht. Im Endstadium seiner Existenz beobachtet er die nachlassenden Körperfunktionen und sein schwindendes Bewusstsein: "Alles verschwimmt. Noch ein wenig mehr und man ist blind. Es sitzt im Kopf. Er tut nicht mehr mit, er sagt: Ich tue nicht mehr mit. Taub wird man auch, und die Geräusche werden schwächer. Kaum dass man die Schwellen überschritten hat, ist es so".
Becketts Rumpfexistenzen hausen in Tonnen oder vertreiben sich ihren Lebensekel mit sinnentleerten Dialogen und dem Warten auf eine unbestimmte Gestalt namens Godot, die freilich niemals kommt. Der Philosoph Theodor W. Adorno beschrieb Becketts Pessimismus so: "Seine Figuren sind wie Fliegen, die zucken, nachdem die Klatsche sie schon halb zerquetscht hat".
Um die quälenden pessimistischen Reflexionen wenigstens zeitweise einzudämmen, nützte Beckett eine Erbschaft, um ein kleines Haus in der weiteren Umgebung von Paris zu erwerben. Dort widmete er sich der Naturbeobachtung: Ein riesiger Specht bereitete ihm "eine absurde Freude", und bei der Betrachtung von Eintagsfliegen fand er Parallelen zu seinem metaphysischen Pessimismus: "Sie flogen alle zur Marne, um von den Fischen gefressen zu werden, nachdem sie sich über dem Wasser geliebt hatten".
Ein wichtiges Mittel zur Weltschmerzbewältigung war noch der Whisky, der ihm helfen sollte, das metaphysische Leiden heroisch zu ertragen: "Auf, ins Bett. Um nicht zu schlafen. Um die Nacht zu hören, die Stille, die Einsamkeit und die Toten. Noch ein Glas".
Die verschiedenen Ausformungen des Pessimismus bei Schopenhauer, Leopardi und Beckett wurden noch von radikaleren Konzeptionen übertroffen. Sie finden sich bei Philipp Mainländer, der durch Selbstmord endete und bei Helene von Druskowitz, die in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde. Für Mainländer, der von 1841 bis 1876 lebte, war die Lektüre der Werke Schopenhauers die Initialzündung für die Ausbildung eines pessimistischen Denkgebäudes, das als das wahre Ziel des irdischen Seins das Nicht- Sein anstrebte. Mainländer ging von einem "Ur-Sein" aus, das in der Vergangenheit liegt und nicht mehr existiert. Diese Einheit hat ihr Wesen verändert und "ist zu einer Welt der Vielheit zersplittert".
Diese Zersplitterung ist der Ausgangspunkt für den Prozess, der nunmehr den Weltverlauf bestimmt. Es handelt sich dabei um das Nicht-Sein, das durch die kontinuierliche Schwächung erfolgt, die durch die Zersplitterung hervorgerufen wurde. Für Mainländer gab es nur eine folgerichtige Umsetzung dieses Gedankens in die Praxis; nämlich den Selbstmord. Im Selbstmord vollziehe das Individuum das universelle Gesetz der Vernichtung, argumentierte Mainländer, der sich im März 1876 mit einer Pistole erschoss.
Gott als Struwelpeter
Auch Helene von Druskowitz war eine Philosophin, die nicht in der "besten aller Welten" gelebt hat. Ihre tragische Lebensgeschichte führte sie dazu, den Pessimismus um eine radikale Kritik des Patriarchats zu erweitern. Die 1856 in Wien geborene Tochter einer finanziell wohlsituierten Familie begann eine Laufbahn als Pianistin, studierte später Philosophie in Zürich, wo sie als eine der ersten Frauen in Europa einen Doktorgrad erhielt. Sie bewegte sich in renommierten philosophischen Zirkeln, lernte Rainer Maria Rilke und Friedrich Nietzsche kennen, mit dem sie sich bald zerstritt. Was ihren Schriften eine besondere Qualität verleiht, ist die singuläre Verbindung von Radikalfeminismus und Pessimismus.
In dem Traktat "Pessimistische Kardinalsätze oder Der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und als Fluch der Welt" schrieb Helene von Druskowitz, "die Welt sei erbärmlich und faul im innersten Kern". "Der Mann sei ein böser und dummer Teufel, der die Frauen knechte und sie in eine Ehe zwinge", obwohl die Frauen die wahre Menschheit seien". Ein weiteres Feindbild war die christliche Religion. Sie beschimpfte Gott "als einen bösen Struwelpeter, der millionenfach selbst die Hölle und ihre Qualen verdienen würde, zu welchen er seine Subjekte verdammt".
Mit diesen Thesen erregte Helene von Druskowitz in der intellektuellen Männerwelt des 19. Jahrhunderts zwar großes Aufsehen, als Person wurde sie jedoch diffamiert und verhöhnt. Schließlich wurde sie entmündigt und verbrachte siebenundzwanzig Jahre in der psychiatrischen Klinik Mauer-Öhling in Niederösterreich, wo ihr, laut Zeugenberichten, mehr Respekt entgegengebracht wurde als in der patriarchalisch strukturierten Gesellschaft, in der sie sich zeit ihres Lebens fehl am Platz fühlte.
Nikolaus Halmer, geboren 1958, Studium der Philosophie, Romanistik, Theaterwissenschaft, ist Mitarbeiter der Wissenschaftsredaktion des ORF; Themenschwerpunkte: Philosophie, Kulturwissenschaften.