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Auf den Kopf gestellt und bunter

Von Alexandra Grass

Wissen
Mit Kindern wird die Welt wesentlich farbenfroher - doch beharrliche Teamarbeit der Eltern ist das Erfolgsrezept für ein gutes Miteinander.
© © BeTa-Artworks - Fotolia

Wenn aus zwei drei - oder gar vier - werden, bleibt nichts, wie es einmal war.


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Dinner for two im Nobelrestaurant, ein gemütlicher Fernsehabend, ein ausgedehnter Einkaufsbummel durch die Stadt, ein Auto ohne Keksbrösel, Hemden ohne Rotzstreifen - das war früher. Heute sieht die Sache schon etwas anders aus: Spielzeug vom Wohnzimmer bis ins Badezimmer verstreut, das Frühstücksei auf dem Teppichboden, ein Auto wie ein landwirtschaftliches Nutzfahrzeug - als Highlight ein Erwachsenenfilm auf der Leinwand statt Wickie und die starken Männer oder Lauras Stern - sofern der Nachwuchs tatsächlich schläft.

Solange man keine eigenen Kinder hat, lässt man sich leicht von den Medien in die Irre leiten. Familienglück am Frühstückstisch, strahlende Babys beim Wickeln oder stressfreie Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Realität ist: Kakao über dem Marmeladesemmerl, Wickelkämpfe und Angepinkeltwerden sowie eine Hetzjagd zwischen Büro und daheim. Man hat auch nicht die geringste Vorstellung davon, welches Ausmaß die eigene Stärke, Geduld, Liebe oder auch Erschöpfung annehmen kann.

Man erwartet sich noch mehr Ausgelassenheit, Abenteuer, Liebe und Glück. "Die Ausgelassenheit zertrümmert zwar manchmal das Geschirr und beschert Sonderschichten in Putzen und Waschen, aber sie färbt auch auf die Eltern ab", schreibt die deutsche Autorin Inka Schmeling in ihrem Buch "Erziehungsquatsch". Die Zahl der alltäglichen Abenteuer steigt - ob als Burgfräulein, Ritter oder Dinosaurier verkleidet.

Nicht selten hängt die Geduld am seidenen Faden. Der Wutanfall im Supermarkt, die Hetzerei zwischen Kindergarten, Schule und Musikstunde, die Schlepperei - zum Glück ist auf unser Gedächtnis kein Verlass. "Denn das Gehirn speichert nicht die besonders typischen, sondern die besonders herausragenden Ereignisse. Und so genügt ein schöner Moment mit unserem Kind, um auf einen Schlag all die nervigen Momente des Tages vergessen zu lassen", schreibt Schmeling. Ein Lächeln oder ein selbst gemaltes Bild lässt alles aus unserem Gedächtnis verschwinden.

Von der Liebe gefesselt

Von der Liebe zum Kind ist man gefesselt und alles rundherum wird unwichtig. Eltern verhalten sich wie Drogensüchtige, sie hören auf zu essen, zu arbeiten, Freunde zu treffen oder Sex zu haben, stellt der amerikanische Glücksforscher Daniel Gilbert fest. Und er legt auch noch ein Schäuferl nach: "Unsere Kinder geben uns viele Dinge, aber eine Steigerung unseres täglichen Glücks ist wohl nicht darunter."

"Glücklich machen Kinder nur in besonderen Momenten, aber nicht im Alltag", bestätigt auch die Psychotherapeutin Danielle Arn-Stieger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Wenn die Freundinnen im Fitness-Studio sind und man selbst bei seinem Sohn sein muss, der mit einem Magen-Darm-Virus das Bett hütet, dann ist man unglücklicher, erklärt sie. Die heutige Gesellschaft hat außerdem einen hohen Anspruch an Glück und Lust, was die Sache nicht leichter macht. In der Generation der Großmütter war das hingegen noch kein Thema. "Da ist es darum gegangen, den Alltag zu bewältigen", so die Familientherapeutin. Ein Highlight war ein Ausflug am Sonntag.

Elternschaft ist Teamarbeit

Im Vorfeld wird kaum darüber gesprochen, inwieweit Kinder den Alltag und damit auch die Partnerschaft verändern. Bei manchen crasht es oft schon in den ersten Wochen. Im Unterschied zur Partnerschaft ist Elternschaft nämlich so etwas wie Teamarbeit: Wer kein Teamspieler ist, gibt häufig w. o. - und geht.

"Es beginnt damit, wer in der Nacht fähiger ist, aufzustehen und funktionstüchtig zu sein, wenn das Baby schreit", so Arn-Stieger. Schon hier kann es zu massiven Diskussionen kommen, die nicht selten in Familientherapie-Praxen enden. An der Bewältigung der Schwierigkeiten zu arbeiten, ist nichts Romantisches.

"Es hat viel mit der Einstellung zu tun. Ich glaube aber, dass Paare vorher darüber nicht sprechen." Es geht immer nur um die Frage, wollen wir ein Kind oder nicht. Nur wenigen Paaren gelingt es, sich über das Wie auszutauschen, erklärt der Expertin.

"Ich liebe mein Kind, ich wollte Mama werden, aber ich sehne mich nach meinem alten Leben zurück. Ich habe nicht gewusst, dass ich das so verliere", weiß Arn-Stieger im Falle einer jungen Mutter aus ihrer Praxis zu berichten. Heutzutage ist dieser Einschnitt in das alte Leben noch intensiver, weil die Paare immer später Eltern werden.

"Babys sind nicht immer einfach. Und die, die einfach sind, sind meistens schon ausgebucht - die bekommt man selten selber", betont die Therapeutin. So kann etwa Schlafentzug bei Menschen, die sehr strukturiert leben, massive Belastungen auslösen. Es gibt Babys, die fügen sich schnell in gewisse Rhythmen, andere sind Chaoten und stürzen die Familie in ein Absolutchaos.

Aufgehalten werden, weil sich das Kind etwa Milch über die Hose schüttet und ein Kleidungswechsel ansteht, bringt strukturierte Mütter aus dem Konzept. Andere nehmen das gelassen und sagen einfach: "Ich komme zwischen 9 und 10 Uhr." Wiederum andere sind immer pünktlich und sauber gekleidet. Das löst dann bei jenen, die das nicht schaffen, ein Gefühl des Scheiterns aus.

Im Laufe der Jahre hat Arn-Stieger beobachtet, dass sich vor allem rund um den neunten Lebensmonat, wenn die Kinder mobiler werden, und zwischen dem 18. und 24. Lebensmonat, wenn die Mütter wieder zunehmender auf ihr eigenes Leben drängen, vermehrt Krisen auftun. Beides sind Phasen, in denen es häufiger zu Fremdbeziehungen kommt, so die Psychotherapeutin. Paaren wird dann auch oft bewusst, dass sie außer den Gesprächen über die Kinder kaum noch etwas verbindet. Sex und Zärtlichkeit sind häufig hintangestellt. In solchen Krisenzeiten ist es hilfreich, professionellen Rat einzuholen - vorausgesetzt, man will wieder zueinanderfinden. Auf jeden Fall ist es "harte Arbeit, als Paar zu funktionieren".

Kinder glücklich machen

Kinder verändern Erwachsene also in jeder erdenklichen Hinsicht. Sie bringen uns auch dazu, uns selbst zu hinterfragen, unser Inneres auseinanderzunehmen und dabei mehr zu uns selbst zu finden als je zuvor. Die Tatsache, dass Kinder "nichts zum Glücklichsein" beitragen, sollten wir feiern, findet Gilbert. Denn "unsere Fähigkeit, gerade die über alle Maßen zu lieben, die unsere Geduld herausfordern und uns bis auf die Knochen ermüden, ist unsere nobelste und menschlichste Eigenschaft", so der Glücksforscher. Kinder bereichern uns, sie lassen uns wachsen und bilden uns weiter. "Wenn es gelingt, uns auf die Kinder einzulassen, werden wir durchaus zu besseren, toleranteren und flexibleren Menschen", erklärt die Familientherapeutin. Es wäre eine Art von Missbrauch, von Kindern zu verlangen, uns glücklich zu machen. Es sollte nämlich die Aufgabe der Eltern sein, für Lebensbedingungen zu sorgen, in denen Kinder glücklich aufwachsen können.

Buchtipp:

Inka Schmeling: Erziehungsquatsch. Heyne, 256 Seiten, 13,40 Euro.