Menschen mit Migrationshintergrund sind auf den Skipisten eine Seltenheit.
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Wien. Österreich ist das Land der Berge. Diese Erkenntnis steht bereits an erster Stelle der österreichischen Bundeshymne. Egal ob zum Wandern, Bergsteigen oder um die Pisten auf Brettern hinunterzurutschen: Die Berge sind in Österreich besonders beliebt. Während viele autochthone Österreicher regelmäßig zu den Bergen pilgern, können sich viele Migranten einfach nicht für Gletscher, Gebirge und Gipfel begeistern.
"Streng genommen ist ja das, was wir machen, die unsinnigste Tätigkeit, die es geben kann. Wir besteigen einen Berg, essen eine Jause und kommen wieder runter." So beschreibt Jürgen Einwander, Jugendreferent vom Alpenverein, sarkastisch das Phänomen Bergsteigen. Kein Wunder also, wenn Jugendliche mit Migrationshintergrund kein Interesse daran haben. Aber auch auf den populären Skipisten bleiben die autochthonen Österreicher unter sich.
Ein europäisches Phänomen
Eine paradoxe Situation, wenn man bedenkt, dass Sport einer der wenigen Bereiche ist, wo ein Migrationshintergrund weitgehend kein Problem darstellt. Der Sport war und ist immer ein Bereich, wo sich Migranten und Minderheiten, die in anderen gesellschaftlichen Sphären mit Ausschluss und Diskriminierung konfrontiert sind, profilieren können. Auch in Österreich gehen viele "Vorzeigemigranten" aus der Sportwelt hervor. Die Schwimmerin Mirna Jukic oder Österreichs aktueller Fußballer des Jahres David Alaba werden von der Mehrheitsgesellschaft als Modelle für gelungene Integration anerkannt. Besonders im Fußball spiegelt sich der gesellschaftliche Pluralismus wider. Die Skinationalmannschaften hingegen bleiben weiterhin homogen.
"Das ist ein Phänomen, das wir nicht nur in Österreich haben. Auch in Frankreich kommen die Skifahrer nicht aus dem Maghreb" sagt Jugendforscher Manfred Zentner. Die Untersuchungen des Jugendforschungsinstituts zeigen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund lieber auf dem Fußballrasen dem Ball hinterherrennen oder im Fitnessstudio Muskeln aufbauen. Den Begriff Jugendliche mit Migrationshintergrund findet Jürgen Einwander vom Alpenverein zu schwammig. Er begegnet bei Bergbesteigungen täglich jungen Migranten. Die meisten von ihnen sind allerdings Deutsche.
Subtile Segregation
Es sind also vor allem junge Menschen aus der sogenannten zweiten Generation der Migranten, die die Berge meiden. Die Gründe für diese unsichtbaren Barrieren in der Sportwelt sind unterschiedlich. Kulturelle Differenzen springen sofort ins Auge, doch sie reichen alleine nicht aus, um eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage zu geben, wieso nur wenige Migranten die angesehenen Wintersportarten ausüben.
Denn in Ländern wie der Türkei oder dem Iran ist der Skisport durchaus nicht unbeliebt. In vielen Orten bauen Jugendliche sogar selbst ihre Skier. Die Ursachen für diese subtile Segregation innerhalb der österreichischen und europäischen Sportwelt sind komplexer.
Ein Blick in die USA zeigt, wie sehr politische, soziale und ökonomische Faktoren die Sportwelt beeinflussen. Wer welche Sportart ausübt, hängt nicht nur vom persönlichen Interesse und den eigenen Fähigkeiten ab. Basketball, eine Sportart, die wenige finanzielle Ressourcen erfordert, bleibt dort weiterhin die Domäne der schwarzen Sportler, während die Weißen als Eishockeyspieler oder Schwimmer erfolgreich sind. Das führt im Extremfall dazu, dass soziale Unterschiede ignoriert werden und der Erfolg von Sportlern durch besondere genetische Veranlagungen erklärt wird. Schwarzen Sportlern werden außergewöhnliche athletische Fähigkeiten zugeschrieben. Weiße Sportler sollen sich durch besondere Spielintelligenz und Scharfsinn auszeichnen.
Sport und Repräsentation
Sport ist mehr als Unterhaltung und ein lukratives Geschäft. Die politische Dimension des Sports ist nicht zu verleugnen. In der Sportwelt spiegelt sich der Zustand einer Gesellschaft wider. Vor allem der Profisport und die Nationalmannschaften repräsentieren ein Land nach außen. Deswegen ist es wichtig, dass die Sportwelt frei ist von jeglichen direkten oder indirekten Beschränkungen.
Wenn 2014 die Olympischen Winterspiele in Sotschi stattfinden, werden Europas Länder, die in den Sommersportarten nicht mehr auf ihre Sportler mit Migrationshintergrund verzichten können, mit weitgehend ethnisch homogenen Mannschaften auftreten. Damit sich hier etwas ändert, muss noch viel getan werden. Barrieren sowohl auf der Seite der Migranten als auch auf der Seite der Mehrheitsgesellschaft müssen abgebaut werden.
Manfred Zentner ist optimistisch. Er kann sich in zehn Jahren einen David Alaba in der österreichischen Skinationalmannschaft vorstellen. Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls ideal im Land der Berge.