Mit "Gödel, Escher, Bach" hat Douglas Hofstadter, der am 15. Februar 70 Jahre alt wird, 1979 einen internationalen Bestseller gelandet. Mittlerweile ist aus dem Apologeten der Artificial Intelligence deren Kritiker geworden.
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Warum Bloomington? Und nicht Harvard, Princeton oder Stanford? Oder, zugespitzt gefragt: Warum hat Douglas R. Hofstadter, der 1979 mit "Gödel, Escher, Bach" ein weltweit bewundertes Debüt als Autor und ein vielfach ausgezeichnetes wissenschaftliches Sachbuch vorgelegt hat, danach den Großteil seiner wissenschaftlichen Karriere als Kognitionsforscher an einer eher unbekannten Universität in Indiana verbracht? Und nicht, zum Beispiel, am renommierten MIT, wo ihm einst Marvin Minsky, ein Pionier der Künstlichen Intelligenz, eine ganz große Zukunft prophezeit hatte: "Hofstadter ist einer, vom dem man in 50 Jahren sagen wird: Er war auf dem richtigen Weg!"?
Ist Hofstadter von diesem "richtigen Weg" irgendwann wieder abgekommen? Wurde seine "Bibel der Computerkultur" - so nannte die "Zeit" damals "Gödel, Escher, Bach" - vielleicht doch etwas zu sehr bejubelt? Oder wurde der "akademische Rockstar" Hofstadter von den publizistisch weniger begabten Platzhirschen seiner Zunft, die ihm den Welterfolg neideten, in die "Provinz" verbannt?
Multidisziplinär
Das sind Fragen, die man nun anlässlich seines 70. Geburtstages - Douglas Hofstadter wurde am 15. Februar 1945 in New York geboren - vielleicht stellen wird. Im von tieferer Neugier nicht berührten, oberflächlich bilanzierenden Sinne von: Was ist eigentlich aus dem vielversprechenden Wunderkind geworden: Ein Nobelpreisträger? Oder ist die Galionsfigur des digitalen Zeitalters nach einem singulären Erfolg in der Anonymität des akademischen Durchschnitts versunken?
Aber wer so fragt, der hat vermutlich nicht die Geduld, um auf jene Art von Antworten zu warten, nach denen Douglas Hofstadter vorwiegend sucht. Es sind nämlich nicht die den angewandten Wissenschaften zugehörigen Fragen, die ihn beschäftigen. Es sind vielmehr die ganz großen Rätsel, quasi die geistigen Entsprechungen der 8000er im Himalaya, die ihn seit seiner frühen Jugend an- und umtreiben: Wo residieren Seelen? Was ist Bewusstsein? Wie denken wir? Jene titanischen Themen also, mit denen sich die wichtigsten Wissenschafter seit Jahrhunderten und die bedeutendsten Philosophen seit Jahrtausenden befassen. Ohne endgültige Resultate bisher, notabene.
All das hatte Marvin Minsky wohl bemerkt, als er vor 35 Jahren prognostizierte, dass man noch 50 Jahre warten müsse, um die wissenschaftliche Leistung des multidisziplinär ausgebildeten Hofstadter, der Mathematik studierte, in Physik promovierte und als Bestsellerautor brillierte, bevor er sich der Bewusstseinsforschung zu wandte, wirklich beurteilen zu können. Für Fragen wie "Warum nur Bloomington?" ist es also noch 15 Jahre zu früh. Mindestens.
Hofstadter ist zwar aus dem Fokus des Feuilletons verschwunden. Aber das sagt bei einem Mann wie ihm nicht viel. Vielleicht ist es nur deswegen um ihn ruhiger geworden, weil er irgendwann als Wissenschaftspublizist genug Ruhm angehäuft hat, um als Forscher ganz seine eigenen Interessen verfolgen zu können. Und dann, unendlich erleichtert, aufhören konnte, permanent begeistern, blenden und performen zu müssen.
Vielleicht liegt es auch daran, dass aus dem Apologeten der Artificial Intelligence ein Kritiker geworden ist, der den passenden Tonfall für seine neue Rolle noch nicht gefunden hat. Sicher ist nur, dass er sich als Autor nicht völlig zurückgezogen hat, wie seine jüngste, üppige Publikation, von der noch die Rede sein wird, zeigt. Und dass ihm die Metamorphose vom jungen Wilden zum alten Weisen gelungen ist, dass er stets unbeirrt weiter gegangen ist, wenn auch etwas langsamer werdend, legen ebenfalls viele Indizien nahe: Hofstadter hat einen Lehrstuhl für Kognitionswissenschaft in Bloomington, er leitet ein einschlägiges Forschungszentrum, und er hatte - soviel zum Stichwort "Provinz" - Gastprofessuren u. a. in Bologna, am Collège de France und am MIT inne.
Künstliche Intelligenz
Aufschlussreich sind im Übrigen nicht nur die Inhalte der Bücher, die "Gödel, Escher, Bach" gefolgt sind, sondern auch die Abstände zwischen deren Erscheinen: Drei Bücher - eines mit Daniell C. Dennett als Co-Autor - erschienen noch in den 80er Jahren. Die Gedanken Hofstadters kreisten, nein, pulsierten dabei vor allem rund um die zentralen Fragen der Künstlichen Intelligenz: Funktioniert unser Bewusstsein wie eine Maschine? Und könnte eine dem Gehirn nachgebaute Maschine mit Bewusstsein ausgestattet werden?
Nach 1985 - dem Jahr seiner Heirat (seit 1993 ist der Vater zweier Kinder verwitwet) - sank die Publikationsfrequenz dann von einem manischen auf ein menschliches Maß: Statt jedes zweite Jahr erschien nun nur mehr ein Buch pro Dekade. Und das Zentrum der Aufmerksamkeit verschob sich: Hofstadters Gedanken kreisten nun immer weniger um Künstliche Intelligenz, dafür immer mehr um das menschliche Denken an sich.
Auch die Form seiner Bücher änderte sich. Sie wurde konventioneller. Von der charakteristischen visuellen Vielfalt in "Gödel, Escher, Bach" - einem Buch, in das Hofstadter, mit einer von damals zwei weltweit verfügbaren Computersatzmaschinen, eigenhändig 150 Abbildungen eingefügt hat - blieb im 2007 erschienenen vorletzten Buch "Ich bin eine seltsame Schleife" nichts mehr übrig. Der Pionier des Desktop-Publishing hätte den Text auch mit einem Bleistift schreiben können . . .
2014 hat Douglas Hofstadter, gemeinsam mit dem französischen Kognitionspsychologen Emmanuel Sander, nun erneut ein konventionell gestaltetes Buch vorgelegt: "Die Analogie - Das Herz des Denkens". Untersucht wird darin Kognition nicht im Hinblick auf biologische Zusammenhänge im Gehirn, sondern als psychologisches Phänomen. Und die (ein-)leitende These lautet, dass die Rollen, die Analogien und Begriffe für das Denken spielen, von der Wissenschaft systematisch unterschätzt werden. Kein Spaziergang auf den Mont Ventoux also. Eher wieder eine Tour auf den Everest. Oder durch die Antarktis. Jedenfalls ein intellektuelles Unternehmen mit so hohen Ansprüchen und Zielen, dass auch ein völliges Scheitern nicht ganz ausgeschlossen ist. Und bei dem jeder Schritt zählt. Vor allem der erste.
Wie entsteht in unserem Denken eigentlich ein "Begriff"? Und wie unterscheiden sich "Analogien" von "Kategorien"? Normalsterbliche, nicht an so klirrend kalte Fragen gewöhnt, verlieren bereits an diesem Punkt den Mut oder gleich das Bewusstsein. Aber Hofstadter und Sander ist diese Höhenlage vertraut, es ist ihr natürliches Habitat, und sie haben ihre Route durch das größte noch unvermessene Gebiet im Universum, durch unser Denken, gut geplant.
Daher können sie nun, nach Jahren im Eis und einer glücklichen Rückkehr zu jenen, denen schon eine Überquerung der Rialtobrücke als erhebend erscheint, darüber berichten. Etwa wie sich die Geschichte der Mathematik und Physik als "lawinenartig vergrößernde Abfolge von Analogien beschreiben lässt" - wobei diese "Lawine" in der Antike beim römischen Architekten Vitruv losrollt, dem die Analogie zwischen Wasserwellen und Schallwellen auffiel, bei ihrer Querung der Jahrhunderte nach und nach mehr Gedankengut mitreißt, bis sie schließlich beim Berner Patentbeamten Einstein landet, der über die Relativitätstheorie nachdenkt. Eine unfassbar große Lawine also. Es könnte daher noch ein paar Jahre dauern, bis das Volumen ihres Kegels exakt berechnet ist - und bis alle darin enthaltenen Ideen, Entdeckungen und Patente lückenlos erfasst sind.
Im Reich der Symbole
Die groß angelegte und - im doppelten Sinne des Wortes - listenreich exekutierte Expedition von Hofstadter und Sander ins unendliche Reich der aus Symbolen bestehenden Bewusstseinsinhalte ist eine freundliche Handreichung, keine Kriegserklärung an Vertreter anderer Anschauungen. Man hat dort oben, wo das Wetter jeden Moment umschlagen kann, keine protzigen Meilensteine, sondern hilfreiche Markierungspunkte gesetzt. Für kraftraubende Kontroversen mit Kleingeistigen stehen Hofstadter und Sander nicht zur Verfügung. Und auch für jegliche Art von Chauvinismus nicht. Aber jeder große Expeditionsbericht ist, naturgemäß, auch eine Herausforderung zu einem internationalen intellektuellen Wettkampf.
Das in "Gödel, Escher, Bach" begonnene Spiel mit Schleifen geht also in "Analogie" weiter. Nur ist das endlos geflochtene Band diesmal unauffälliger in den Text eingewebt. "Analogie" unterscheidet sich vom einstigen Bestseller wie ein mausgrauer Mercedes vom psychedelisch bemalten Porsche Janis Joplins. Der "Antrieb" funktioniert bei beiden nach demselben Prinzip: Er beschleunigt das Denken durch hoch verdichtete Analogien. Wie ein Gummiband. Lesern, die nach mehreren gedanklichen Salti noch wissen, wo sie sich gerade befinden, beschert das atemberaubende Erfahrungen.
Um diesbezüglich über "Analogie" hinaus zu kommen, müssten sie aber auf jenen Berg steigen können, auf dem Kurt Gödel sitzt. Gödel war ein - wenn nicht der - Prometheus der Philosophie. Vor ihm gab es in der Logik nur zwei Resultate: "Wahr" und "Falsch". Gödel bewies, dass es ein drittes gibt: "Unentscheidbar". Damit hatte er das Zeitalter binär operierender Computer übersprungen, bevor es begonnen hatte.
Gödels "Erdbeben"
Karl Popper hat Gödels Unvollständigkeitssatz mit einem "Erdbeben" verglichen. Und viele andere Geistesgrößen haben sich "den Kopf zerbrochen", um mit "Vernunft" zu "begreifen", was Gödel gelungen ist. Bis Hofstadter die berühmte Lösung fand, um Gödels entscheidenden "Fortschritt" sichtbar zu machen. Und zwar, indem er Gödel mit Bach und Escher bespiegelte. Indem er einem "Etwas", das zu einer dritten Dimension geführt hatte, eine dritte Dimension gegenüberstellte. Indem er Inhalt in Form und Form in Inhalt verwandelte. Simpel scheinend, aber völlig radikal.
Und paradox: So wie ein Schmetterling, der sich, um "vorwärts" zu kommen, in eine Raupe verwandelt. "Gödel, Escher, Bach" fiel dadurch, und durch seine virtuose Umsetzung, so auf, wie etwa Jimi Hendrix’ "Star-Spangled-Banner" in Woodstock. Und es schlug beim Publikum auch ähnlich nachhaltig ein.
Hendrix ist nie bis nach Stockholm gekommen. Aber man wird ihn, länger als viele der dort Geehrten, im Gedächtnis behalten. Und Hofstadter - für den das Denken ein "Tanz von Symbolen" ist - wird man vielleicht einmal "Puschkin der Publizisten", "Boswell des Bewusstseins"oder "Astaire der Analogien" nennen.
Peter Jungwirth, geb. 1962, lebt in Wien. Freier Journalist im Print- und Hörfunkbereich; schreibt seit vielen Jahren fürs "extra".
Douglas Hofstadter, Emmanuel Sander: Die Analogie - Das Herz des Denkens.Aus dem Amerikanischen von Susanne Held. Klett-Cotta, Stuttgart 2014, 783 Seiten, 34,95 Euro.
Douglas Hofstadter: Ich bin eine seltsame Schleife. Aus dem Amerikanischen von Susanne Held. Klett-Cotta, Stuttgart 2008, 528 Seiten, 14,95 Euro.
Gödel, Escher, Bach. Ein endloses geflochtenes Band. Aus d. Amerik. v. H. Feuersee, P. Wolff-Windegg u.a., 19. Aufl. 2013, 844 Seiten, 35,- Euro.