Die konservativen Tories kennen nur ein Thema: den Brexit. Seinen Erfolg hat Boris Johnson vor allem Nigel Farage zu verdanken.
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Für Theresa May war es einer der härtesten Tage als Premierministerin des Vereinigten Königreichs, doch Boris Johnson verbrachte den Abend Mitte November 2018 unter Gleichgesinnten. Kurz nachdem mehrere Minister aus Protest gegen den Brexit-Plan Mays zurückgetreten waren, plauderte Johnson in einem Londoner Nobelrestaurant mit Ukip-Gründer Nigel Farage. Die beiden haben viel gemeinsam, bei der Kampagne für den EU-Austritt vor dem Referendum 2016 standen sie an vorderster Front. Dass Johnson nun wohl nächster Premier des Landes wird, hat er hauptsächlich dem Erfolg Farages zu verdanken.
Agiert Johnson jetzt nicht grob fahrlässig, steht ihm so gut wie nichts mehr im Weg. Als einziger Kontrahent bleibt Außenminister Jeremy Hunt, für den sich bei der letzten Abstimmungsrunde mit 77 Tory-Abgeordneten nicht einmal halb so viele ausgesprochen haben wie für Johnson (160). Und bei der Basis, die bis 22. Juli entscheiden soll, wer von den beiden Premier wird, ist Johnson noch beliebter. Sie besteht zum Großteil aus wohlsituierten Männern über 55, die einen Brexit ohne Austrittsabkommen mit der EU unterstützen.
Dass der Charismatiker Johnson den "May in Hosen" Hunt schlägt, ist damit so gut wie ausgemacht. Wie die scheidende Premierministerin war auch Hunt ursprünglich für den Verbleib in der EU gewesen, als Mitglied ihres Kabinetts hat er alle unbeliebten Entscheidungen mitgetragen. Indes hat Johnson seine Tory-Kollegen davon überzeugt, dass man Brüssel nur mit dem No-Deal-Brexit drohen muss, um einen besseren Deal zu bekommen.
Das Parlament in London will einen solchen No-Deal-Brexit allerdings verhindern. Blockieren die Abgeordneten diese Option, dann drohen Neuwahlen. Mehrere Tories haben zudem angekündigt, Johnson gleich wieder zu stürzen, sollte er das Land in einen Brexit ohne Abkommen führen. Viel bräuchte es dafür nicht: Seit den Neuwahlen 2016 sind die Tories in ihrer Minderheitsregierung auf die Unterstützung der nordirischen DUP angewiesen.
In der Hoffnung, seine Partei zu stärken und die lästige DUP loszuwerden, könnte Johnson aber auch von sich aus Neuwahlen ausrufen. Ohne die Protestanten aus Nordirland wäre denkbar, die britische Provinz in der Zollunion der EU zu lassen. Auf diese Weise könnte London neue Handelsabkommen abschließen. Auch der ungeliebte Backstop wäre überflüssig - es bräuchte keine Grenzkontrollen auf der irischen Insel.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Johnson seine Unberechenbarkeit unter Beweis stellt. Moderate Konservative berichten, dass er ihnen einen "sanften Brexit" versprochen habe. Es ist durchaus denkbar, dass der Brexiteer, einmal Premier, gemäßigter auftritt.
Neuwahlen wollen die meisten Tories zwar verhindern. Noch härter treffen würde die Partei aber eine weitere Verschiebung des EU-Austritts. Sie würde Nigel Farage in die Hände spielen, dessen Brexit-Partei bei den Europawahlen knapp 32 Prozent erreicht hat. Für die Tories war es mit neun Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Dass viele Konservative nun auf Johnson setzen, liegt vor allem am Erfolg Farages. Anstatt eine alternative Erzählung über die Beziehungen zur EU zu entwickeln, lassen sich die Tories vom rechten Rand der Partei hertreiben - und bejubeln, wer Farage am glaubwürdigsten nachahmt.
Fast die Hälfte der Tory-Mitglieder würde Farage sogar als neuen Premier hinnehmen - Hauptsache, der Brexit kommt.