ÖVP und Grüne verhandeln, betonen aber, was keiner hören will: das Risiko eines Scheiterns.
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Wieder einmal ist es die FPÖ, die sich am schnellsten auf neue Bedingungen einstellt: Kaum ist fix, dass ÖVP und Grüne über eine Koalition verhandeln, schon machen die Freiheitlichen dagegen mobil. Klubchef Herbert Kickl spricht vom "größten Wählerbetrug der Zweiten Republik" und Parteichef Norbert Hofer sieht die Republik auf Betreiben der ÖVP den Grünen ausgeliefert.
Das sind natürlich - sieht man einmal von der Chuzpe ab, ihr eigenes so kollektives wie grandioses Versagen als Regierungspartei unter den Teppich zu kehren - geschickte Nadelstiche; mehr können sie jetzt nicht sein. Aber sie treffen die ÖVP dort, wo sie wählerstimmentechnisch am verwundbarsten ist: an ihrer rechten Flanke, wo rund eine halbe Million Wählerstimmen, die zusammengenommen 2017 und 2019 von der FPÖ zur ÖVP gewandert sind, warten und sich ängstlich gespannt anschauen, wie das so werden wird mit diesem Türkis-Grün, von dem jetzt alle anderen so euphorisiert reden.
So gesehen war auch die demonstrative Nüchternheit, die ja in manchen Passagen sogar in kühle Distanz umschlug und wiederholt das Risiko des Scheiterns hervorhob, die wohl bemerkenswerteste Gemeinsamkeit der Stellungnahmen von ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler. Sicher, beide erklärten die Bereitschaft ihrer Parteien, nun endlich in richtige Regierungsverhandlungen einzusteigen; und das noch dazu einstimmig, was zweifellos vor allem aus Sicht der Grünen ein gewichtiges Signal von Geschlossenheit und Entschlossenheit bedeutet; vor einigen Jahren hätte mit Sicherheit noch der eine oder die andere eine abweichende Meinung den Journalisten in den Block diktiert.
Während aber das Ja zu Verhandlungen und auch die Einstimmigkeit auf beiden Seiten ohnehin erwartet worden waren, bleibt dagegen die Betonung all der Schwierigkeiten, die erheblichen politischen wie mentalen Distanzen, die ÖVP und Grüne auf dem Weg zu einer gemeinsamen Regierung noch zu überwinden werden haben, zumindest im Kurzzeitgedächtnis aller Interessierten und Beobachter in Erinnerung. Und das ist zweifellos genau so auch beabsichtigt und alles andere als Koketterie. Die Vorbehalte und Unterschiede zwischen ÖVP und Grünen sind real und politisch wirkmächtig.
Heißt das, dass eine türkis-grüne Koalition unwahrscheinlich ist? Nein, eine solche ist sogar ein weiteres Stück wahrscheinlicher geworden, nur eben noch längst nicht gewiss. Das weiß natürlich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Und es ist fast schon bezeichnend, dass die zufriedenste, auch die zuversichtlichste Wortmeldung ausgerechnet aus seinem Mund kam.