Zum Hauptinhalt springen

Auf der Intensivstation

Von Marina Delcheva

Leitartikel
Marina Delcheva leitet das Wirtschaftsressort der "Wiener Zeitung".

Es geht nur noch um Schadensbegrenzung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bei manchen Menschen geht es mittlerweile um Leben oder Tod. So wie bei Markus H. (der eigentlich anders heißt). Er konnte seinen kleinen Familienbetrieb nicht mehr halten. Die Aufträge sind Corona-bedingt eingebrochen. Kredit, Miete, Gehälter - er konnte das alles nicht mehr bezahlen. Seine gesamte Existenz ist den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zum Opfer gefallen. Und mit seinem Schicksal war er nicht allein.

Das Coronavirus schlägt weiterhin mit voller Wucht um sich. Es greift unsere Zellen an und unser Wirtschaftssystem muss auf der Intensivstation künstlich am Leben erhalten werden, durch milliardenschwere staatliche Zuschüsse. Sein Tribut sind unzählige Schicksale.

Aktuell sind 405.000 Personen beim AMS als jobsuchend gemeldet. Und es ist zu befürchten, dass es so bald nicht weniger werden. Das MAN-Werk in Steyr schließt bis 2023 und kündigt 2.300 Mitarbeiter. Beim Flugzeugbauer FACC müssen 650 Mitarbeiter gehen, 500 bei der voestalpine, über 350 bei den Casinos Austria. Wie viele Unternehmen der Krise zum Opfer fallen, wissen wir wohl erst nächstes Jahr, wenn Fixkostenzuschüsse, Kreditstundungen und Kurzarbeit auslaufen. Obwohl die Unternehmenspleiten im ersten Halbjahr gesunken sind, haben sich die Passiva jener, die Insolvenz angemeldet haben, mit mehr als eineinhalb Milliarden Euro fast verdoppelt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz sagt nun, er wolle "mit allen Mitteln" eine anhaltende Wirtschafts- und Arbeitskrise verhindern. Nun ja, die Krise ist schon da und sie wird uns noch lange begleiten. Um ein Verhindern geht es schon lange nicht mehr. Es geht nur noch um Schadensbegrenzung, mit allen verfügbaren Mitteln. "In der Krise wird jeder zum Sozialisten", sagte Sam Sicilia, Investment-Chef des Fondsverwalters Hostplus, mit Verweis auf die zahlreichen Rettungspakete.

Die intensivmedizinische Behandlung des Wirtschaftsstandortes ist teuer. Die Staatsverschuldung wird heuer um 15 Prozentpunkte auf 85 Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung steigen. Jetzt kann man darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, Unternehmen, die auch ohne Corona früher oder später der neuen digitalen Welt zum Opfer gefallen wären, künstlich am Leben zu erhalten. Weil ihre Geschäftsmodelle nicht zukunftsträchtig sind. Eine Zombie-Wirtschaft quasi. Immerhin hat Corona ja nur den digitalen Wandel beschleunigt, nicht erst herbeigeführt.

Aber die Frage, mit welchen Mitteln wir diese Pandemie bekämpfen, entscheidet darüber, in welcher Welt wir nach Corona leben. In einer Welt, in der nur die digital Fittesten überleben, oder in einer, in der niemand zurückgelassen wird, wenn er am Boden liegt. Denn über eine Sache sind sich Ökonomen aller ideologischen Lager einig: Es wird nichts mehr, wie es war.