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Auf der Jagd nach Lügen

Von Christian Hoffmann

Reflexionen
Herbert Wagner und Julia Gisch hinter dem majestätischen Mikrophon
© Pessenlehner

Eine Sicherheitsfirma in Eisenstadt besitzt eine in Österreich einzigartige Technik: Einen Lügendetektor aus Israel, der am Klang der Stimme herausfinden soll, ob der Betreffende lügt oder nicht.


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Eigentlich stellt man sich ja einen Lügendetektor ganz anders vor. Man würde Sensoren erwarten, die Atem, Puls, Blutdruck, Schweißausbrüche oder verräterisches Zittern messen, über Kabel mit bedeutsamen Maschinen verbunden sind und entsprechend dramatische Kurven zeichnen. Doch hier, in diesem nüchternen Besprechungszimmer, steht auf dem Tisch nicht mehr als ein Mikrofon. Gut, das Mikrofon sieht ziemlich majestätisch aus, fast wie ein Kultgegenstand, weil sein Korb so golden glänzt. Aber das ist schon alles. Darüber hinaus gehören zum Setting nur noch zwei Laptops: An einem davon sitzt Herbert Wagner, ein ehemaliger Kriminalbeamter, am anderen Julia Gisch, seine Mitarbeiterin, die auch in einen James-Bond-Film passen würde.

Seit drei Jahren machen die beiden mit neuartigem Equipment Jagd auf Lügen. Am Anfang stand eine Firma, die "mit hohen Werten" zu tun hatte, wie Wagner vorsichtig formuliert, um diskret zu bleiben. Es schien ein Leck zu geben, durch das in dem Unternehmen beachtliche Geldbeträge verschwanden, und niemand, auch nicht die Polizei, konnte den Übeltäter oder die Übeltäterin ausfindig machen, obwohl in dem Betrieb nur fünf Personen dafür in Frage kamen.

In dieser heiklen Lage engagierte man Herbert Wagner, der den Fall aufklären sollte. Der zerbrach sich den Kopf, suchte nach neuen Möglichkeiten und stieß schließlich auf eine Firma in Deutschland, die ein System aus Israel im Einsatz hatte, das mithilfe von Stimmanalysen Lügen aufdecken sollte. Da sich das System in dem konkreten Fall bewährte und ein paar Ungereimtheiten in der fraglichen Firma zutage förderte, wandte sich Wagner direkt an die Herstellerfirma Nemesysco und flog wenig später gemeinsam mit Julia Gisch zu einer Einschulung nach Israel.

Seither verfügen die beiden als Erste in Österreich über eine neue Art von Lügendetektor, von der man vor hundert Jahren, als zum ersten Mal die Idee zu einer solchen Maschine aufkam, nur hätte träumen können. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts befassten sich viele führende Psychologen mit den körperlichen Auswirkungen von Vorgängen im menschlichen Bewusstsein. So gibt es einschlägige Arbeiten von Carl Gustav Jung in seiner Zeit an der psychiatrischen Klinik in Zürich, vom deutschen Psychologen Max Wertheimer und vor allem von dem in Graz lehrenden experimentellen Psychologen Vittorio Bernussi, der bereits 1913 im Labor der dortigen Universität eine der ersten Maschinen gebaut hatte, einen Polygraphen, wie Lügendetektoren in der Fachsprache heißen, wörtlich übersetzt "Vielschreiber": Ein Gerät das mehrere Körperfunktionen des Untersuchten während eines Gesprächs aufzeichnete.

Unter Stress

Verglichen mit den klassischen Polygraphen ist die "Voice Analyzer", mit dem Herbert Wagner und Julia Gisch operieren, verblüffend einfach. Das Wichtigste ist die Software, die eine aufgezeichnete Stimme in Hinblick auf 129 Variablen auswertet und daraus Schlüsse auf die psychische Befindlichkeit des Sprechers oder der Sprecherin zieht. So erscheinen während der Proband in das golden eingefasste Mikrofon spricht auf dem Monitor Signale wie "Stressed", "Inaccuracy" oder eventuell auch "Truth". Die Auswertung dieser Signale gibt dem, der die Vernehmung durchführt, Anhaltspunkte dafür, an welchen Stellen es sich lohnen würde nachzuhaken.

Es hätte auch keinen Sinn, wie Herbert Wagner erklärt, die Software bei einer harmlosen Plauderei zu testen. "Wir müssen den Probanden in Stress bringen." Also wird bei einem Vorgespräch geklärt, welche Sachverhalte hinterfragt werden sollen, dann ein Probelauf durchgeführt, um die Software zu kalibrieren, also auf die Stimme des Kandidaten einzustellen, und schließlich eine gezielte Vernehmung durchgeführt, bei der der Computer die stimmlichen Reaktionen des Befragten genau beobachtet. "Die Firma Nemesysco sucht sich auch die Kunden aus, an die sie das Programm verkauft", sagt Wagner. "Das müssen Leute sein, die im Vernehmen geschult sind."

Diese Qualifikation weist Herbert Wagner auf jeden Fall auf. Der ehemalige Kriminalpolizist lag nach einem Motorradunfall länger als ein Jahr im Liegegips und wurde deswegen mit Ende 1999 von der Polizei zwangsweise pensioniert, "gegen meinen Willen", wie er heute noch betont. Doch nützte er diese Situation, um sich weiterzubilden, absolvierte an der Donau-Universität in Krems ein Studium im Fach "Security and Safety Management" und leitet heute in Eisenstadt eine Firma mit 25 festen und bis zu 300 freien Mitarbeitern, dessen Prokuristin Julia Gisch ist (Vater Polizist, Bruder Polizist, Onkel Polizist). Angeboten werden vielerlei Leistungen, Sicherheitskonzepte für Betriebe und Großevents, außerdem Wachdienste, Security bei Veranstaltungen, Selbstverteidigungskurse oder klassische Detektivarbeiten. Vernehmungen mit dem Lügendetektor sind also nur eine von vielen Arbeiten¸ die anfallen. Sie werden, wie Herbert Wagner berichtet, vor allem in Anspruch genommen, wenn es um eheliche Untreue oder sexuellen Missbrauch geht, und kosten in der einfachen Version 700 Euro, in komplexeren Fällen dementsprechend mehr.

"Alles gelogen"

Ein solcher Test beginnt also mit einem Vorgespräch, an das sich die eigentliche Vernehmung schließt, bei der gezielt gefragt wird. Im Online-Modus gibt die Software bereits in diesem Stadium den Fragestellern Angaben über den Gemütszustand des Befragten und weist auf Schwachstellen in den Aussagen hin. In dieser Funktion nützen weltweit verschiedene Polizeistellen, Versicherungen oder Personalbüros das Programm. Zu einem späteren Zeitpunkt kann das aufgezeichnete Gespräch auch in einem Offline-Modus noch einmal analysiert werden. Darüber hinaus gibt es noch den komplexen Investigation-Modus, der eine umfangreiche Testphase erfordert.

Herbert Wagner erinnert sich an den Fall eines jungen Mannes, den seine Mutter gebracht hatte, um Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs überprüfen zu lassen, die der Betroffene entschieden bestritt. "Ich bin eigentlich nicht leicht zu täuschen", sagt Wagner, "aber bei dem habe ich den Eindruck gehabt, dass er die Wahrheit sagt." Die Software war jedoch gegenteiliger Meinung und in dieser Lage schickte der Detektiv eine Aufzeichnung an die israelische Herstellerfirma. "Die Antwort, die von denen kam, war ganz eindeutig", erzählt Wagner, "nämlich, dass alles gelogen ist." Also begann man, sich mit der Sache gründlicher zu befassen, und fand schließlich heraus, dass die Vorwürfe zutrafen.

Der Freispruch

Eine größere Öffentlichkeit hörte zum ersten Mal von dem neuen Gerät im Jahr 2009, als der Fall Franz A. neu aufgerollt wurde. Der Mann saß damals bereits seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis, weil er versucht haben sollte, seine Ehefrau zu ermorden. Seiner Version der Tat, nämlich, dass er sich in Notwehr gegen einen Angriff verteidigt hatte, war kein Glauben geschenkt worden. Eine Neuanalyse des gerichtsmedizinischen Gutachtens und ein ausgiebiger Test am Lügendetektor von Herbert Wagner, der ihm bestätigte mit 98 Prozent Wahrscheinlichkeit die Wahrheit zu sagen, bewog schließlich das Gericht in einer Berufungsverhandlung zu dem sensationellen Freispruch.

Trotzdem sind in Österreich, dem Mutterland der Lügendetektoren, derartige Techniken grundsätzlich nicht als Beweis vor Gericht zugelassen. Ihnen kann nur in Einzelfällen, wie das Beispiel von Franz A. zeigt, das Gewicht von Zeugenaussagen beigemessen werden. Aber auch in den USA, wo man grundsätzlich weniger skeptisch gegenüber Polygraphen ist, wird die Software aus Israel nicht nur positiv gesehen. So liefern sich die schwedischen Sprachwissenschafter Anders Eriksson (Universität Göteborg) und Francisco Lacerda (Universität Stockholm) heftige Gefechte mit Amir Liberman, dem Gründer der Firma Nemesysco. In einem Artikel der Fachzeitung "International Journal of Speech, Language and the Law" bezeichneten sie im Jahr 2007 den neuen Lügendetektor als "Scharlatanerie" und seit damals tobt ein heftiger publizistischer und juristischer Kampf, um den Wert der Stimmenanalyse, in dem es bis zum heutigen Tag keinen Sieger gibt. Für Franz A., der vor zwei Jahren aus dem Gefängnis freikam, hat das allerdings keine Bedeutung mehr.

www.wagner-sicherheit.at