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Auf der Spur des "Gottesteilchens"

Von Heiner Boberski

Wissen

Panne im Vorjahr war vermeidbar, man habe daraus gelernt. | Erkenntnisse über das Universum durch Teilchenbeschleuniger. | Wien. Innerhalb eines Jahres, bis Oktober 2010, erwartet Michael Lamont, Forscher am Kernforschungszentrum CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) in Genf und jüngst auf Durchreise in Wien, "signifikante Ergebnisse" der Experimente mit dem neuen Teilchenbeschleuniger LHC (siehe Kasten). "Wir gehen davon aus, dass wir das Higgs-Boson sehen können und ein deutlicheres Bild davon bekommen, wie das Universum entstanden und was unmittelbar nach dem Urknall geschehen ist." Im "freundschaftlichen Wettstreit der Wissenschafter" um den Nachweis des auch "Gottesteilchen" genannten Higgs-Bosons könnten aber nun die Amerikaner die Nase vorne haben.


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Denn erst im Oktober 2009 soll der LHC, der wenige Tage nach seiner Inbetriebnahme im September 2008 stillgelegt werden musste, wieder in Betrieb gehen. An der Reparatur waren bis zu 200 Personen beteiligt. Die Panne im Vorjahr sei vermeidbar gewesen und man habe daraus gelernt, sagt Lamont, Leiter der für die CERN-Beschleuniger zuständigen etwa 100köpfigen Arbeitsgruppe. "Ich bin verantwortlich, dass die Strahlen richtig ankommen", beschreibt er seine Funktion. Für die vielen anderen Aufgaben wie den Aufbau der Magneten, die Installationen, die Energiebereitstellung oder nötige Reparaturen seien andere Teams zuständig. "Die Panne ist nicht einzelnen Leuten vorzuwerfen. Es gehört auch nicht zur CERN-Kultur, auf jemanden mit dem Finger zu zeigen und ihm Schuld zuzuweisen."

"Urknall ist ein Faktum"

Michael Lamont, Jahrgang 1959, Doktor der Physik, stammt aus Portsmouth in Südengland und absolvierte sein Studium in Manchester, Cambridge und Liverpool. Seit fast 20 Jahren arbeitet er bei CERN. Jetzt erwartet er dort in Kürze die absolut wichtigsten Erkenntnisse der Physik seit Jahrzehnten, zumindest seit Carlo Rubbia und Simon van der Meer die sogenannten W- und Z-Teilchen nachwiesen und dafür 1984 den Nobelpreis erhielten. Der Urknall ist für Lamont nicht nur Theorie, "er ist ein Faktum, das kaum ein Physiker noch bestreitet".

Kommt nicht die CERN-Forschung angesichts anderer Menschheitsprobleme zu teuer? "Sie ist nicht so teuer, wenn Sie auf die Rüstungbudgets schauen. Wir arbeiten für den Gewinn von Erkenntnis. Uns treibt wissenschaftliche Neugier wie Faraday oder Einstein. Und Wissenschaft zahlt zurück. Wir finden die Zusammenhänge von Mikrokosmos und Makrokosmos."

Lamont: Geld ist bei CERN gut investiert. Foto: Sternisa

Was etwa bei CERN zu Magnetismus und Computern erforscht wurde, fand in die Medizin Eingang oder führte zum Internet. Ein großer Teil der in CERN investierten Mittel fließe in die europäische Industrie zurück, in Technologietransfer, in spin-offs, oder in die Ausbildung junger Forscher, die in ihre Heimat zurückkehren, darunter viele aus Österreich. "Das ist kein Geld, das verschwindet", betont Lamont.

Die Ausstiegspläne Österreichs lösten bei Lamont "Erstaunen" aus: "Österreich ist schon lange in Cern eingebunden, es bestehen viele kulturelle Verbindungen. Gerade jetzt betritt die Wissenschaft neuen Boden, gewinnt Erkenntnisse über den allerersten Moment der Schöpfung. Große Wissenschafter wie Einstein haben Meilensteine auf diesem Weg gesetzt. Jetzt warten Physiker auf der ganzen Welt auf die Resultate. Es wäre unklug, diesen Augenblick zu versäumen."

Nicht ganz ernst nimmt Lamont, was der Film "Illuminati" über CERN mitteilt: "Das ist völlig unrealistisch, zum Beispiel ist es wegen der Strahlung streng verboten, sich entlang des in Betrieb befindlichen LHC zu bewegen."

Und wenn man mit dem LHC nicht alles entdeckt, was man jetzt erhofft, wird dann eine noch größere Maschine gebaut?

"Auch ein negatives Resultat wäre interessant, denn es würde zeigen, dass in der Physik die Dinge nicht immer so sind, wie man sie erwartet. Aber die Idee wäre, mit der Physik des LHC eine neue Maschine zu dimensionieren. Diese nächste Maschine wäre sehr teuer und müsste international getragen werden - von Europäern, Amerikanern, Japanern, Russen. Aber das dauert sicher noch 15 bis 20 Jahre."

Wissen: LHC

Der LHC (Large Haldron Collider) am Genfer Forschungszentrum CERN ist der modernste Teilchenbeschleuniger der Welt. In der 27 Kilometer langen, ringförmigen Anlage werden Teilchen wie Elektronen oder Protonen mittels elektrischer Felder im Hochvakuum fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und mit starken Magneten auf der Bahn gehalten. Dabei erstrebt man Kollisionen, bei denen sich die Energie verdoppelt. Vor allem erhofft man von den LHC-Experimenten, das Higgs-Boson nachzuweisen, ein Teilchen, das laut dem Standardmodell vom Aufbau der Materie anderen Elementarteilchen Masse gibt. Weiters will man unter anderem Erkenntnisse über supersymmetrische Teilchen sowie die Dunkle Materie gewinnen.