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"Auf der Stelle eine Kugel in den Kopf"

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Ressortchef Ausland der "Salzburger Nachrichten".
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Syriens Machthaber Bashar al-Assad agiert nach diesem Rezept Lenins - Moskau inszeniert Politik mit Potjomkinschen Dörfern.


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Die russische Syrienpolitik böte hervorragenden Stoff für eine Realsatire, hätten nicht bis jetzt 6000 Syrer dafür mit ihrem Leben bezahlt. Die Regie dieses Stückes stünde dem russische Ministerpräsidenten Wladimir Putin für seine Analyse der Lage in Syrien zu: "Das Volk muss selbst über sein Schicksal entscheiden." Dazu bedürfte es aber eines Deus ex Machina vom Kaliber des tschetschenischen Tyrannen Ramsan Kadyrow, der in Moskaus Auftrag die Entscheidung seines Volkes in die richtige Richtung zwang.

Das hinderte den russischen Außenminister Sergej Lawrow keineswegs, der Welt eine Lektion in Völkerrecht zu erteilen: Sein Veto gegen eine Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrats entspreche der UNO-Charta, die Einmischung in innere Angelegenheiten eines Staates untersagt, erklärte er. Zudem habe die Resolution keinen Hinweis auf "illegale bewaffnete Gruppen" enthalten, welche die Bevölkerung drangsalieren und Regierungsgebäude angreifen würden. Also sei es "schwer vorstellbar, dass der Führer eines Landes die Macht illegalen bewaffneten Gruppen übergibt".

In diesem Zusammenhang verdienen zwei "Nebensächlichkeiten" besondere Aufmerksamkeit: Vor seinem Veto in der UNO schickte Lawrow seinen Auslandsgeheimdienstchef Michail Fradkow auf Erkundungstour nach Syrien. Und Fradkow begleitete Lawrow auch zu den Verhandlungen nach Damaskus. Hinterher erklärte Lawrow, der syrische Machthaber Bashar al-Assad sei sich "seiner Verantwortung bewusst" und "absolut entschlossen, das Blutvergießen zu beenden". Gleichwohl wütet Assad nach einem berühmten Rezept Lenins ungehemmt weiter: "Solange wir keinen Terror ausüben - auf der Stelle eine Kugel in den Kopf - wird uns gar nichts gelingen."

Dass Lawrow mit Assad eine stufenweise Übergabe der Macht erörtert haben soll, sieht nach dem Neubau der Potjomkinschen Dörfer aus, die den Blick von harten Fakten ablenken sollen. Russland verkauft Assad jährlich für rund drei Milliarden Euro Kriegsgerät und unterhält in Tartus seinen einzigen Flottenstützpunkt im Orient. Beides gewährleistet Assad ungleich sicherer als "die Entscheidung des Volkes über sein Schicksal".

Hinter Assads Schlächtereien steckt natürlich ein abgefeimtes Kalkül. Je länger die militärisch unterlegenen Revolutionäre nicht einen entscheidenden Schlag schaffen, desto wahrscheinlicher sind Fraktionskämpfe. 15.000 desertierte Soldaten leisten zwar Heldentaten, aber gegen Assads 280.000-Mann-Armee und Panzerbrigaden kommen sie nicht an. Vor allem aber soll die systematische Zerstörung von Wohnvierteln die ohnehin entnervte Bevölkerung mürbe und für die staatliche Agitation empfänglicher machen: Ausländische Saboteure und Terroristen stürzen das Land in das Chaos, aus dem es nur der weise Führer Assad führen kann. Und längerfristig kalkuliert: Wer immer auch Assad nachfolgen könnte, steht ohne Geld vor einem riesigen Trümmerhaufen. Dann herrscht Elend statt Freiheit - und dem Ruf nach einem starken Führer entzöge sich Assad sicher nicht.