Über die Zukunft der Stadt und ihre eigene Rolle als christdemokratische Partei will die ÖVP Wien im Rahmen des Projekts "wien morgen" nachdenken. In zahlreichen Projektgruppen soll nun bis 2005 das Programm neu erarbeitet werden. Die "Kick-off"-Veranstaltung am Mittwochabend fand hoch über den Dächern Wiens, im Media Tower, statt.
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Nach wertvollen Impulsen beim Aufbau des Sozialstaats mangle es dem Sozialismus heute an Antworten auf die Probleme einer post-industriellen Gesellschaft, ist der Soziologie-Professor Manfred Prisching überzeugt. In diese ideologische Lücke sei heute, als "neue Form des Marxismus von rechts", der Wirtschaftsliberalismus eingedrungen, der alles Handeln nach seinen Kategorien beurteilt. Für Österreich und Wien im Besonderen komme noch eine Art "auf den Kopf gestellter Subsidiarismus" hinzu, der immer zuerst nach dem Staat als Problemlöser rufe. Zwischen diesen Polen müsse sich eine christ-demokratische Politik behaupten.
Für den Berliner CDU-Politiker und ehemaligen Feuilleton-Chef der "Welt", Christoph Stölzl, stellt sich die Frage, wie Parteien auf die "Anarchie der menschlichen Lebensentwürfe" in der Stadt reagieren. Er fordert eine "trockene Analyse der Werte, die die Städter heute antreiben". So seien Frauen durchaus in dem Sinne "konservativ", dass sie sich intakte Familien wünschen. Allerdings habe man nicht darauf reagiert, ihnen Beruf und Familie zu ermöglichen, weshalb diese Wählergruppe für christdemokratische Parteien oft verloren sei. Er fordert einen pragmatischen Zugang beim Überbordwerfen ideologischen Ballasts.
Etwas mehr Bodenhaftung verschaffte dann die "Falter"-Journalistin Eva Weissenberger der Diskussion. Sie forderte konkrete christdemokratische Erklärungen für die Haltung der Wiener ÖVP in Fragen wie dem Ausländerwahlrecht, der Stadtentwicklung oder der Homosexuellen ein.
Für Prisching gibt es in der Stadt keinen hermetischen Wertekanon mehr, weshalb man einen solchen Zuwanderern nicht so einfach vorschreiben kann: "Wir haben doch selbst genug Probleme, unsere divergierenden Wertvorstellungen in vielen Fragen unter einen Hut zu bringen." Auch die Hoffnung, viele soziale Probleme in der Stadt durch eine Art von neuer Bürgergesellschaft lösen zu können, zweifelt der Soziologe an: Wann bleibe denn Zeit, sich in der Nachbarschaft zu engagieren, "wir sind doch alle ständig im Job".