Mit einem Fokus auf Lehre und berufliche Weiterbildung will Arbeitsminister Kocher dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken.
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Österreichs Arbeitsmarkt trocknet aufgrund der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung sowie nachlassender Zuwanderung sukzessive aus. Immer weniger junge und immer mehr ältere Beschäftigte prägen die Szenerie, daher müssen Akzente gesetzt werden, "um möglichst viele Menschen im Arbeitsmarkt zu halten", erklärt Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher am Dienstag im Club der Wirtschaftspublizisten in Wien.
Dafür gibt es mehrere Stellschrauben, aktuell fokussiert sich die Politik auf den Bereich Lehre und Berufsbildung. So sollen etwa die Meisterprüfungen sowie auch die dafür notwendigen Kurse für die Auszubildenden kostenlos werden - je nach Bundesland und Beruf fallen hierfür immerhin Kosten zwischen 3.000 und 10.000 Euro an. Eine diesbezügliche Regelung soll noch heuer fertig sein und 2024 in Kraft treten. "Vor zehn bis zwanzig Jahren hatten wir in Österreich einen starken Fokus auf die akademische Ausbildung, jetzt müssen wir uns wieder stärker auf die Fachausbildung konzentrieren", so der Minister.
Keine "Sackgasse" mehr
Zudem sucht man nach Möglichkeiten, die Fachkräfte, auch nach Lehre und Meisterprüfung, weiterbilden zu können. Vorbild dafür seien Lehrlingsakademien, wie sie bereits in vielen österreichischen Großunternehmen zu finden sind. Nach wie vor soll allerdings auch die Durchlässigkeit der Systeme, etwa von der Berufsausbildung in den akademischen Bereich erhalten bleiben. "Die Lehre soll nicht mehr als Sackgasse wahrgenommen werden", wünscht sich Kocher.
Obwohl die Lehrlingsquote zuletzt wieder gestiegen ist, sei es insbesondere für kleinere und mittelgroße Unternehmen (KMU) zunehmend schwierig, Nachwuchs zu finden. Derzeit sind knapp über 100.000 Lehrlinge in Österreich in Ausbildung, eine drei- bis vierstellige Anzahl von ihnen macht die Lehre mit Matura, schätzt Kocher. Auch die Lehre nach der Matura, verkürzt auf zwei Jahre, werde von den Unternehmen gut angenommen.
Das große Dilemma bleibt allerdings, dass es immer weniger junge Menschen im heimischen Arbeitsmarkt gebe und diese eine große Auswahl unter den Arbeitgebern haben, also auch entsprechend wählerisch sein können.
Eine weitere Stellschraube für den Arbeitsmarkt ist daher die kontrollierte und qualifizierte Zuwanderung - obwohl die Notwendigkeit einer solchen noch nicht in allen Bereichen der Gesellschaft angekommen sei, wie es Kocher vorsichtig formuliert. "In den vergangenen 20 Jahren hatten wir jedes Jahr etwa 50.000 zusätzliche Arbeitskräfte, die nach Österreich zugewandert sind", erklärt er. Damit sei es aber vorbei, man stehe im europaweiten Wettbewerb um Arbeitskräfte.
Umdenken bei Zuwanderung
Dafür sieht Kocher die Rot-Weiß-Rot-Karte, die im Oktober 2022 auf neue Beine gestellt wurde und seither ein Punktesystem für Qualifikationen aufweist, als wichtiges Vehikel. "In den letzten vier bis fünf Monaten beobachten wir hier einen Anstieg von 50 Prozent." Zudem arbeite man an Zuwanderungsabkommen, ein solches stehe etwa mit Indien kurz vor der Unterzeichnung, kündigte der Minister an. Auch bei den Ukraine-Flüchtlingen will man nachbessern. Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird für sie erleichtert, so ist ein Antrag des Arbeitgebers auf Beschäftigung bereits weggefallen. Künftig soll die befristete Arbeitserlaubnis in eine unbefristete überführt werden.
Dem Arbeitskräftemangel will der Minister auch bei den älteren Beschäftigten bis hin zu arbeitswilligen Pensionisten entgegentreten. Insbesondere in einer Neuregelung der Abgaben für Einkommen zusätzlich zur Pension sieht Kocher eine Möglichkeit, wie es für Ältere attraktiver werden könne, länger zu arbeiten. Allerdings müssten da Arbeits-, Sozial- und Finanzministerium intensiv zusammenarbeiten.
Zwar fehlen noch genaue Zahlen, doch die negativen Auswirklungen des Arbeitskräftemangels auf das heimische Wirtschaftswachstum werden auf "einige Zehntelprozentpunkte bis 2030" geschätzt, so Kocher. Arbeitskräfte zu fördern sei auch im Hinblick auf die Klimakrise und die dafür erforderlichen Transformationsprozesse wichtig. "Es ist ein dauernder Reformprozess, keine große Reform, sondern jedes Jahr viele kleine Schritte", betont der Arbeitsminister. Hierfür müssten Sozialpolitik, Bildungssystem, Arbeitsmarktservice und viele andere Stellen Hand in Hand arbeiten. "Und dafür müssen wir das Bewusstsein auf allen Ebenen schärfen", resümiert er.