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Viehwirtschaft, Hühnerhaltung, Gänsewirtschaft, Schweinezucht oder doch Schweinemast? Streuobstwiesen, Obstplantagen, Ackerbau, genauer gesagt Gerste, Weizen, Mais, Hafer oder doch Raps? Vielleicht auch Zuckerrüben, Mosterzeugung, Milchprodukte - das Leben auf den Vierkantern hätte nicht mannigfaltiger sein können.
Der Vierkanter ist ein traditionelles Bauerngehöft, das sich allmählich aus einer Haufensiedlungsstruktur entwickelt hat. Er erlebte seine Blüte vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und erfüllte in ökonomischer wie sozialer Hinsicht elementare Bedürfnisse dieser Zeit. Mit der Trennung von Wohn- und Arbeitsbereichen und der Entwicklung einer individualisierenden Ökonomie steht der Vierkanter sowohl von seiner Architektur als auch hinsichtlich seiner Nutzung heute mitten in substanziellen Umbrüchen.
Die vielfach zitierte "vollkommenste Gehöftform der Welt" ist in die Jahre gekommen, und gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass damit eine neue Aufbruchsstimmung in Nieder- und Oberösterreich - dem Hauptverbreitungsgebiet der Vierkanter - verbunden ist. Das wird in vielen Projekten und Einzelinitiativen sichtbar. Die Stadtgemeinde Haag beherbergt die meisten - nämlich 207 - Vierkanthöfe Niederösterreichs. In Verbindung mit der Veredelung der Leitprodukte der Region sowie dem Aufbau zahlreicher Marketinginitiativen rund um die Moststraße ergibt das in Summe das Bild, dass viele an einem Strang ziehen. Regionalentwicklung ist die Summe von einzelnen Ideen, die Vernetzung regionaler Akteure, die Mitwirkung an gemeinsamen Projekten und die Identität mit "etwas". Der Vierkanter ist ein sehr lebendiges leitbildstiftendes Symbol für die Region und seine Bewohner.
Innovative Ideen
Von Generation zu Generation werden materielle und ideelle Werte weitergegeben, auch wenn dies oft mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Höfe oder Teile davon werden abgerissen und wieder neu aufgebaut, sie werden erweitert und modernisiert, aber manche verfallen auch. Schon seit Jahren versuchen deshalb motivierte Besitzer, innovative Ideen in einem so altehrwürdigen Kulturgut wie dem Vierkanter zu verwirklichen. Plötzlich finden sich Büros, Lagerplätze, Gästezimmer oder Gewerbebetriebe in den Räumlichkeiten der vormals landwirtschaftlich genutzten Bauernhöfe. Vor großen Investitionen oder radikalen Änderungen der Bewirtschaftung und Betriebsausrichtung schreckt man nicht zurück.
Viele Übergänge und Veränderungen in der letzten Zeit haben nicht nur die Kulturlandschaftsentwicklung beeinflusst, sondern auch ehemals traditionelle Wohn- und Wirtschaftsformen in Frage bzw. Vierkanthofbesitzer vor neue Herausforderungen gestellt.
Bei einem Vierkanter - so eine Bewohnerin - "gibt’s kan Anfang und ka End, alles g’hört irgendwie zamm!". Damit sind die gegenwärtigen Aufgaben und Herausforderungen rund um einen Vierkanter gut auf den Punkt gebracht. Überlieferungen besagen, dass jede Generation im Vierkanter eine Aufgabe wahrzunehmen hat: das Dach, die Fenster die Fassade, die Hofgestaltung usw. In einer globalisierten, schnelllebigen Welt ist dieser Generationenvertrag oft in Frage gestellt, Familienstrukturen und Arbeitswelten haben sich verändert, auch die Bausubstanz kommt vielfach in die Jahre.
Waren noch vor 50 Jahren Streuobstwiesen eine Selbstverständlichkeit, so sind viele von diesen heute verschwunden oder werden vielfach im Rahmen von Kultivierungsmaßnahmen neu angelegt. Auch das Wirtschaften am Hof hat sich massiv verändert. Durch die Intensivierung des Maschineneinsatzes und die Umstellung der Betriebe, durch neue Spezialisierungen und auch neue Ansprüche an das Wohnen hat der Vierkanthof viel von seinen ursprünglichen Qualitäten eingebüßt. Er muss somit neuen Rahmenbedingungen des Alltagslebens und Wirtschaftens gerecht werden.
Um diese Übergänge und Veränderungen gestalten und bewältigen zu können, bedarf es nicht nur ausreichender finanzieller Mittel zur Erhaltung und Renovierung der Bausubstanz. Es bedarf auch einer aktiven Auseinandersetzung mit der Familien- und Kulturgeschichte der Region, einer Identifikation mit einer seit Bestehen bedeutenden Hofform und der Frage, welche Nutzungen heute für einen Vierkanter relevant sein könnten.
Sozialwissenschafter kommen vermehrt zum Schluss, dass trotz zahlreicher Bemühungen um die authentische Erhaltung tradierter Bausubstanz die bäuerliche Architektur in ihrer bisher bestehenden Form nicht zu retten wäre. Alte Bauformen wie der Vierkanthof ließen sich zwar konservieren, das bäuerliche Leben jedoch wäre weitgehend verschwunden.
Wir haben es also mit einer Situation zu tun, wo das Äußere noch gewahrt ist, das Innere jedoch unwiederbringlichen Veränderungen unterworfen zu sein scheint. Hier also das beständige Bollwerk Vierkanter, dort die dräuende Leere, deren Wiederbelebung offen ist.
Ideal und Wirklichkeit
Ausgehend von seiner Blütezeit, wird der Vierkanthof durch Eigenschaften wie "demonstrative Bauernherrlichkeit" oder "vollständiges Bauernhaus" charakterisiert. Heute wird von ihm vielfach als "Problemfall" gesprochen. Die verfügbaren Stall- und Speicherräume werden im vorhandenen Ausmaß nicht mehr benötigt. Für die Unterbringung der Maschinen einer modernen Landwirtschaft sind die Räume nicht geeignet, die Durchfahrten sind zu niedrig, die Innenhofräume zu groß. Die Kosten, die Dachflächen und Fenster durch die gewaltige Baukubatur in ihrer Erhaltung verursachen, sind kaum noch aufzubringen. Dieser Befund zeigt, dass das Äußere nicht mehr zum Inneren passt.
Im Rahmen einer Untersuchung des Instituts für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien im Jahr 2011 wurde folgende Typisierung der Vierkanthöfe ersichtlich: "Verlassene" Vierkanter sind vielfach dem Verfall preisgegeben, die letzten Sanierungsmaßnahmen liegen meist über 50 Jahre zurück. Die Landwirtschaft wurde aufgegeben. Wenn nicht die Entsiedlung droht, dann findet eine Rückentwicklung zur Haufensiedlung statt. Zum Teil wird neben dem noch bestehenden Vierkanter gebaut, alte Stallungen werden als Einstellplätze genutzt.
"Beharrende" Vierkanter sind in der Regel durch eine alternde Gesellschaft gekennzeichnet. Diese ist bäuerlich strukturiert, die Übergabe der Landwirtschaft ist unklar, Flächen sind zumindest teilweise verpachtet. Selbst wenn der Wunsch besteht, dass der Hof im Besitz der Familie bleiben sollte, ist die Zukunft ungewiss.
Die "spezialisierten" Vierkanter sind in der Regel durch eine intensivierte Landwirtschaft gekennzeichnet. Es handelt sich um Großbetriebe mit dazu gepachteten Flächen. Die Spezialisierungen liegen häufig in der Tierhaltung, wobei Gänse, Hühner und Schweine deutlich vor Milchwirtschaftsbetrieben liegen. Die Zukunft liegt weiterhin in der intensiven Landwirtschaft, auch im Biolandbau oder in einer anderen Spezialisierung.
Beim "umgebrochenen" Vierkanter spielt die Landwirtschaft als Nutzungsform keine Rolle mehr. Kennzeichen ist die Revitalisierung der Bausubstanz und die Veränderung der bisher traditionellen Nutzungsform. Touristische Betriebe zählen ebenso dazu wie private Wohnnutzungsformen oder auch Vermietungen von Flächen. Der Hof dient vielfach als Anlageobjekt, als realisierter Traum vom Leben am Land und symbolisiert die Ablöse von einer bäuerlichen Struktur.
Die Bandbreite spannt sich also vom verlassenen Hof - Äußeres (noch) da, Inneres verschwunden - zum umgebrochenen Hof. Das architektonische Landschaftselement Vierkanter wird sowohl vom Äußeren - zum Teil postmoderne Fassadengestaltung - als auch vom Inneren - unkonventionelle Nutzungsformen - in neues Gewand gekleidet.
Das kulturelle Erbe der Vierkanter ist von gravierenden Umbrüchen geprägt. Das Aufgeben von Landwirtschaften und damit von Höfen als bäuerliche Vierkanter, die landwirtschaftliche Intensivierungen und Revitalisierung von Vierkanthöfen, sowie die Neu-Inwertsetzungen und Umgestaltung zu nicht-bäuerlichen Vierkantern sind Kennzeichen dieser Entwicklung.
Insgesamt ergibt sich über die vergangenen Jahrzehnte betrachtet eine immer kleiner werdende Zahl an Höfen, wo Landwirtschaft im Haupterwerb betrieben wird. Es handelt sich dabei zunehmend um Höfe mit einem hohen Spezialisierungsgrad, oft mit einer Nischenproduktion. Vielfach sind dies flächenstarke Betriebe, charakterisiert durch großen Eigenbesitz, Zupacht und Zukauf von Nutzflächen. Die Hofbesitzer sind oft jüngere Menschen mit einer Zukunftsvision.
Daneben existieren noch landwirtschaftliche Betriebe, die traditionell und zum Teil extensiv geführt werden. Bei diesen Höfen ist eine Weiterführung in der nächsten Generation noch offen oder bereits absehbar nicht mehr gegeben. Die Ältesten verharren im Status quo, nach ihnen droht der Verfall.
Neue Strukturen
Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ein weiterer Paralleltrend ab. Es entstehen in Architektur und Nutzung zunehmend postmoderne Strukturen. Höfe werden von Außenstehenden übernommen, umgebaut und umfunktioniert. Sei es als Firmensitz oder als Alterssitz, sei es als Spekulationsobjekt oder als langfristige Wertanlage. Noch sind diese Entwicklungen nur vereinzelt festzustellen. Sie könnten jedoch je nach gesamtwirtschaftlicher Entwicklung gemeinsam mit einem partiellen Comeback der Landwirtschaft zu einem dauerhaften Trend werden.
Generell kann festgehalten werden, dass die Vierkanthöfe als Bausubstanz große Aufmerksamkeit genießen, eine landwirtschaftliche Nutzung aber unter den gegenwärtigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen nur für eine Minderheit langfristig von Interesse ist. Oder anders ausgedrückt: Es besteht dem Vierkanter gegenüber eine große Wertschätzung in seiner Bedeutung als kulturellem Erbe. Die flächendeckende Erhaltung und Pflege sind jedoch nicht sichergestellt.
Werner Dietl, Martin Heintel Norbert Weixlbaumer sind Mitarbeiter des Instituts für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Sie haben 2011 ein Buch zum Thema veröffentlicht: Vierkanter Haag. Entwicklungsperspektiven eines regionalen Kulturgutes. Wien. ISBN 978-3-900830-78-6x, 15.- Euro.