BIP sagt nicht alles über Wohlstand und Lebensqualität aus. | Wifo: Wissenschaft soll sich mehr mit Thema beschäftigen.
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Wien. Wenn es darum geht, die wirtschaftliche Leistung und den Wohlstand einer Nation zu messen, wird immer wieder auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messlatte zurückgegriffen. Volkswirtschaftsstudenten bläut man es im ersten Semester ein: Das BIP ist der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres in den Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt wurden und dem Endverbrauch dienen.
Doch da ökonomische Indikatoren wie das BIP nie mit dem Ziel entwickelt wurden, allumfassende Kennzahlen der gesellschaftlichen Wohlfahrt zu sein, haben Forscher rund um den Globus Alternativen zum BIP ins Leben gerufen. Und auch einige Länder haben die Initiative ergriffen. Im asiatischen Königreich Bhutan etwa wird seit längerem etwa das "Bruttoglücksprodukt" ermittelt. Dieses misst neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch Faktoren wie die Lebenszufriedenheit, den Schutz kultureller Werte und der Umwelt.
In Frankreich und Deutschland ist man noch nicht so weit, aber es gibt von der Politik eingerichtete Kommissionen, die sich mit der möglichen Berechnung eines alternativen BIPs beschäftigen.
Nettoeinkommen sollen verglichen werden
In Österreich hat sich nun das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) der Sache angenommen. Man sollte, meint Wifo-Chef Karl Aiginger, Wohlfahrt nicht nur am Einkommen, sondern auch an den Lebensbedingungen und an der Umwelt festmachen. Schäden wie etwa Naturkatastrophen würden auch das BIP vergrößern. Da Wohlstand ein "komplexer Begriff" sei, könnten auch Indikatoren zu Gesundheit und Sicherheit berücksichtigt werden. Genauer betrachtet werden sollten neben dem BIP auch weitere Indikatoren der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, da sie eine genauere und aussagekräftigere Sicht auf den Erfolg der Wirtschaftspolitik ermöglichen.
So plädiert das Wifo etwa dafür, im Ländervergleich die Pro-Kopf-Einkommen heranzuziehen. Am Beispiel Irlands sei nämlich zu sehen, dass das BIP zwischen den Jahren 2000 und 2010 real um 2,5 Prozent jährlich angestiegen ist, während es in Österreich "nur" 1,5 Prozent waren. Beim Vergleich des verfügbaren Nettonationaleinkommens zeigt sich aber, dass Irland in diesem Zeitraum mit einem Plus von 0,1 Prozent praktisch stagnierte, während es in Österreich ein Plus von einem Prozent gab.
Generell, so Aiginger, sei das BIP für Österreich aber "kein schlechtes Maß." Aber in anderen Ländern gebe es deutliche Unterschiede je nach Messung des Wirtschaftswachstums.
Österreich nehme innerhalb der EU-27 nicht nur gemessen am BIP, sondern auch beim Nettonationaleinkommen, bei Indikatoren zur Lebensqualität und zu den materiellen Lebensbedingungen eine "gute Position" ein. Schwächen ortet Aiginger hingegen im Umweltbereich. Österreich sei innerhalb der vergangenen neun Jahre bei der Ressourcenproduktivität auf Rang 10 und beim Energieverbrauch je BIP auf Platz 9 zurückgefallen.
Gewerkschaft für Alternativ-Betrachtung
Um dem Thema "Beyond GPD" - was übersetzt "Mehr als BIP" heißt - Raum zu geben, wünscht sich Aiginger die Einrichtung einer entsprechende Kommission. Dem Thema soll auch auf politischer Ebene Platz eingeräumt werden, fordert der Wifo-Chef, der zusätzlich an die Wissenschaft appelliert, mehr in diesem Bereich zu forschen.
Zustimmung für das Hinterfragen des BIPs kommt vom ÖGB. Präsident Erich Foglar: "Kennzahlen über Wirtschaftsleistung, Produktivität, Beschäftigungsquoten und dergleichen geben ein Gesamtbild, sagen aber wenig darüber aus, wie es um Wohlstand, Verteilung, wirtschaftlichen Erfolg oder die Arbeitsplatzsituation einzelner Gruppen wirklich bestellt ist."