Die Erde ist ein Dorf geworden, die wichtigen Probleme betreffen alle, die Lösungen dafür werden rund um den Globus gesucht. Ein immer mehr ins Gespräch kommendes Konzept, das am 15. Oktober im Wiener Haus der Industrie vorgestellt und diskutiert wird, trägt den Namen "Global Marshall Plan".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Die vier reichsten Amerikaner besitzen derzeit mehr Geld als eine Milliarde der ärmsten Menschen in dieser Welt. Ist das ein Rezept für eine bessere Welt? Die USA geben momentan innerhalb von 32 Stunden mehr Geld für das Militär aus als die Vereinten Nationen für ein ganzes Jahr zur Verfügung haben. Ist das ein Rezept für eine bessere Welt?"
Der deutsche Fernsehjournalist Franz Alt, der mit dieser Rhetorik auf dem zweiten Weltforum für Erneuerbare Energien im Mai 2004 in Bonn die Zuhörer in seinen Bann zog, bevorzugt zur Verbesserung der Welt ein anderes Konzept: den Globalen Marshall-Plan. Die Rede ist davon schon seit Jahrzehnten, auch Österreichs langjährigem Bundeskanzler Bruno Kreisky gefiel die Idee. Das Modell, das einst Europa beim Wiederaufbau geholfen hat, soll, neu konzipiert, auf Weltebene erprobt werden: Hilfe zur Selbsthilfe.
Erst im letzten Jahrzehnt scheint die Zeit dafür wirklich reif geworden zu sein. Persönlichkeiten wie UNO-Generalsekretär Kofi Annan, der frühere US-Vizepräsident Al Gore, der Reformtheologe Hans Küng, Susan George, Aktivistin für soziale Gerechtigkeit, und der frühere Präsident der Sowjetunion Michail Gorbatschow haben dafür Sympathie. Auch der jordanische Prinz El Hassan bin Talal, der am 15. Oktober in Wien mit Bundespräsident Heinz Fischer und mehreren Experten an der einschlägigen Veranstaltung "Zukunftschance Ökosoziale Marktwirtschaft" teilnimmt, gehört zu den Befürwortern.
Im Haus der Industrie befasste man sich schon mehrmals mit dieser Thematik. Erst kürzlich stellte dort der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Radermacher sein Buch "Global Marshall Plan" vor und betonte, dass die Welt zwei Grundsätze brauche: "Der Mensch muss für die Intaktheit des ökologischen Systems sorgen. Wir feiern nicht die letzte Party, sondern es kommen noch andere. Und das zweite Prinzip ist die Würde aller Menschen."
Radermacher ist mit der wissenschaftlichen Koordination der Global-Marshall-Plan-Initiative beauftragt, die am 16. Mai 2003 in Frankfurt mit einem Treffen von Vertretern aus Politik, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen gestartet wurde.
Langfristig zielt die Initiative auf jenen Begriff, den der ehemalige österreichische Vizekanzler Josef Riegler stets propagiert hat und für den er auch heute als Präsident des Ökosozialen Forums Europa vehement eintritt: "Die Initiative Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft ist nach meinem Wissensstand und nach meiner Einschätzung jenes gesamthaft konzipierte und klug durchdachte Konzept, das die größten Chancen bietet, um die Menschheit in eine gute, nachhaltige und friedliche Zukunft zu führen."
Die Betreiber des Globalen Marshall-Plans sehen in der Europäischen Union den strategisch wichtigsten Unterstützer ihres Konzepts in der internationalen Politik. Nahziel ist daher die Einrichtung eines Beratungsgremiums innerhalb der EU, dazu sollen rasch Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft eingebunden werden. Man hofft, bis zum Ende des Jahres 2006 einen weltweiten Konsens zur Umsetzung des Plans zu erreichen und nach der Annahme zum Zeitpunkt "Rio+15" (in Anlehnung an den Umweltgipfel von Rio de Janeiro im Jahr 1992) und einer fachkundigen Vorbereitung schließlich in die für den Zeitraum 2008 bis 2015 vorgesehene Umsetzungsphase einzutreten.
Das nötige Finanzvolumen wird auf etwa eine Billion Dollar geschätzt. Dazu Radermacher in seinem Buch: "Mit den heute schon verfügbaren zusätzlichen Zusagen geht es um etwa durchschnittlich 105 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Mitteln pro Jahr. Dies ist ein erhebliches Volumen, aber machbar."
Ob es wirklich gelingt, bleibt abzuwarten. Dass es notwendig wäre, weil sonst die Kluft zwischen reichen und armen Ländern noch unerträglicher würde, daran ließen bei der Veranstaltung am 30. September genannte Zahlen kaum einen Zweifel. So erreiche ein Modehemd, das bei uns um 102 Euro verkauft werde, um ganze zwei Euro die europäische Küste. Besaßen die 20 ärmsten Länder zusammen vor 40 Jahren noch ein Dreiundfünfzigstel dessen, was die 20 reichsten Länder hatten, so ist es nun nur noch ein Hunderteinundzwanzigstel.
Der Globale Marshall-Plan will die im Jahr 2000 von der UNO mit Blick auf das Jahr 2015 beschlossenen so genannten Millenniumsziele erreichen helfen. Dazu zählt vor allem der Kampf gegen Armut und Hunger - die Zahl der davon betroffenen Personen (jene, die weniger als einen Dollar pro Tag zum Leben haben) soll halbiert werden. Ferner werden ein volles Grundschulprogramm für alle Kinder, die Senkung der Kindersterblichkeit auf ein Drittel der heutigen Werte, gesundheitliche Verbesserungen (speziell für Mütter und in von Aids und Malaria betroffenen Regionen) sowie Umweltprojekte (Zugang zu sauberem Trinkwasser) und eine Partnerschaft für Entwicklung angepeilt.
Mit Worten bekennen sich alle zu diesen UNO-Zielen, man sollte die Sonntagsredner einfach beim Wort nehmen, forderte Radermacher. Und es gelte, längst beschlossene internationale Standards wie das Verbot von Kinderarbeit in die Praxis umzusetzen.
Als zweiter Hauptredner dieser Veranstaltung kritisierte Jakob von Uexküll (siehe Beitrag unten) die "mörderische Schuldeneintreibung", er nannte das Ausmaß der Emissionen von CO2 "Terrorismus". Ihm missfällt eine wesentliche Änderung in unserer Gesellschaft. Zu allen Zeiten habe man jene geehrt, die etwas für die Gemeinschaft taten, und Egoisten verachtet. Das sei in der modernen Konsumgesellschaft leider anders.
Buchtipp:
Franz Josef Radermacher: Global Marshall Plan. Ein Planetary Contract. Für eine weltweite ökosoziale Marktwirtschaft. Herausgeber: Ökosoziales Forum Europa, Wien 2004. 208 Seiten, 12 Euro.
Information:
http://www.globalmarshallplan.org