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Auf der Suche nach jedem Brösel

Von Alexia Weiss

Politik

Der erste Seder findet heuer am 29. März statt. | Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. | Wien. Wenn sich gläubige jüdische Familien zu Beginn des achttägigen Pessachfests kommenden Montag Abend zum ersten Seder um den Esstisch versammeln, wurde im Haushalt bereits seit Wochen auf diesen Tag hingearbeitet. Acht Tage lang darf zu Pessach nichts Gesäuertes gegessen werden. Gesäuertes beziehungsweise Chametz (Hebräisch): das sind Weizen, Roggen, Gerste, Hafer oder Dinkel, die mindestens 18 Minuten mit Wasser in Berührung gekommen sind.


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Daher ersetzen zu Pessach Mazzot herkömmliches Brot. Mazzot bestehen nur aus Mehl und Wasser, werden in weniger als 18 Minuten hergestellt und enthalten keine Hefe. So erinnert man sich an den Auszug der Israeliten aus Ägypten. Wegen des raschen Aufbruchs konnte nur ungesäuertes Brot gebacken werden.

Bei "Hadar Lebensmittel" am Karmelitermarkt wurde Anfang März jegliches Chametz aus dem Hauptverkaufsraum entfernt, erzählt der Geschäftsinhaber. Nach intensiver Reinigung wurden alle Regale mit dünnem Karton ausgelegt, um absolut sicherzugehen, dass keine "Koscher-le-Pessach"-

Produkte mit Resten von gesäuerten Speisen in Verbindung kommen. "Koscher le Pessach" heißt auf Hebräisch "koscher für Pessach". Ausschließlich Lebensmittel mit dieser Aufschrift werden zu Pessach verzehrt.

"Der Rabbiner prüft noch"

Lebensmittel mit Chametz wurden bei Hadar in einem Extraraum verstaut. Vor den Feiertagen können sie noch gekauft werden, zu Beginn des Fests wird das kleine Lager versiegelt. "Und dann kommt natürlich der Rabbiner und prüft, ob alles seine Ordnung hat." Im Hauptraum stapeln sich indessen verschiedenste Sorten Mazzot. Besonders köstlich: die mit Schokolade überzogenen. Nicht nur Kinder freuen sich auf diesen süßen Abschluss des vielstündigen Sedermahls.

Seder heißt auf Hebräisch Ordnung und der Abend wird aus gutem Grund so genannt: Jeder Teilnehmer hat die "Haggada" vor sich liegen. Das Buch erzählt, wie Moses die Israeliten von der Sklaverei befreite, und gibt den detaillierten Ablauf für das Festmahl vor. Vier Becher Wein oder Traubensaft werden getrunken (für die vier Verheißungen Gottes, der die Kinder Israels herausführen, erretten, erlösen und als eigenes Volk annehmen wollte), ein fünfter Becher kommt für den Propheten Elija auf den Tisch, der erwartet wird, um das Kommen des Messias anzukündigen. Symbolisch auch die sechs Speisen auf der Sederplatte: darunter Maror, bittere Kräuter, die daran erinnern, wie die Ägypter das Leben der jüdischen Sklaven verbitterten, oder Charosset, in Erinnerung an den Lehm, aus dem die Sklaven Ziegel herstellten.

Brigitte Ungar-Klein, Leiterin des Jüdischen Instituts für Erwachsenenbildung, bereitet Charosset aus Äpfeln, Nüssen, Wein, Zucker und Zimt zu. Das Ehepaar Ungar-Klein lädt jedes Jahr zwölf bis 16 Familienmitglieder und Freunde zu beiden Sederabenden. Drei Wochen zuvor beginnt die Dame des Hauses mit dem Einkauf, ihre Liste umfasst unter anderem 150 Eier, mehrere Kilo Mazzot beziehungsweise Mazze-Mehl, sieben Kilo Kartoffel, drei Kilo Zwiebel, literweise Wein und Traubensaft, jede Menge Fleisch, Obst, Gewürze, Mandeln, Haselnüsse und Mayonnaise. "Meist beginne ich drei Tage vorher mit dem Kochen", so Ungar-Klein. Drei Tage, in denen in der bereits geputzten und umgestellten Küche kein Chametz mehr verzehrt werden darf. "Wir stellen daher im Vorzimmer einen Klapptisch auf und essen nur mehr aus Plastikgeschirr."

Eine eigene Pessachküche

Auch bei Familie K. wird am Tag vor Pessach nur mehr aus Wegwerfgeschirr gegessen. Frau K. fängt für vier bis fünf Wochen vor dem ersten Seder mit dem Pessachputz an. Zuerst werden alle Kleidungsstücke mit Taschen in die Reinigung gebracht, um Chametz zu entfernen. Dann geht es an das Umstellen der Küche.

Viele junge orthodox lebende Familien verfügen über eine eigene Pessachküche, die mit einem Rollladen verschlossen und nur zu Pessach benutzt wird. Wer den Luxus nicht hat, muss die gesamte Küche ausräumen, Alltagsgeschirr und Küchenmaschinen entweder woanders verstauen, die Küchenkästen zukleben oder einzelne Stücke kaschern. Dazu werden etwa Töpfe oder Silberbesteck gewaschen, 24 Stunden zum Trocknen aufgelegt und dann in kochendes Wasser getaucht.

Frau K. räumt ihre Küche aus und bringt alles Geschirr in einen Kasten im Nebenzimmer. Dann wird das Pessachgeschirr geholt - "das stammt noch von meiner Mutter" - und gereinigt. In die Kästen eingeräumt werden darf es erst, wenn aller Chametz entfernt und die Regale mit Alufolie oder Packpapier ausgelegt wurden. "Pessachgeschirr darf unter keinen Umständen mit Chametz in Berührung kommen", so Frau K. Sie hat keine Pessach-Küche, aber einen eigenen Pessach-Herd, der nur in dieser einen Woche benutzt wird. Andere Familien decken den Herd mit Silberfolie ab.

Auch im Haushalt der Frau K. kommt viel Alufolie zum Einsatz. "Ich kleide die Abwasch damit aus, auch den Wasserhahn", erzählt sie, "und dann habe ich ein Lavoir für fleischige und eines für milchige Speisen; in dem wird während Pessach das Geschirr gewaschen." Bei Ungar-Kleins kommt auch der Geschirrspüler zum Einsatz - "aber vorher lasse ich ihn einige Male durchlaufen".

Gesäuerte Lebensmittel werden in beiden Familien zur Seite gestellt, sukzessive gegessen und was übrig bleibt nach Möglichkeit an Nichtjuden verschenkt. Bei den K.s steht bereits zwei Wochen vor Pessach eine kleine Kiste in der Ecke der Küche, gefüllt mit Chametz. Am ersten Seder wird von dieser Kiste nichts mehr zu sehen sein. Und auch die Mühen der vergangenen Wochen sind vergessen. Pessach ist ein Familienfest und man erinnert sich gemeinsam gerne an die Zeit, als die Sklaverei ein Ende hatte.