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Auf der Suche nach Mitgliedern

Von Simon Rosner

Politik

Nur jeder Dritte ist bei der Gewerkschaft.


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Wien. Es ist zu einer Art Gretchenfrage in der Welt der Arbeit geworden: Sag, wie hast du’s mit der Gewerkschaft? Während die Zahl der Beschäftigten steigt, verzeichnet der ÖGB einen kontinuierlichen Schwund an Mitgliedern. In absoluten Zahlen mag der Rückgang noch gar nicht so dramatisch klingen- von 1,59 Millionen im Jahr 1994 auf 1,2 Millionen im Vorjahr. Relativ gesehen sind gegenwärtig aber nur mehr 33 Prozent der unselbständig Beschäftigten Teil der Gewerkschaft, vor 18 Jahren war es noch mehr als die Hälfte.

Nun ist es nicht so, dass die Gretchenfrage von immer mehr Arbeitnehmern mit Unmutsäußerungen gegen den ÖGB beantwortet werden würde. Die große Krise nach Auffliegen des Bawag-Skandals, als es eine Austrittswelle gab, ist überstanden. Das Problem der Gewerkschaft des 21. Jahrhunderts ist vielmehr, dass die Antwort auf die Gretchenfrage immer öfter ein überraschtes Achselzucken ist.

Kaum aktive Austritte

"Aktive Austritte haben wir so gut wie gar nicht", sagt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB. Doch die Jugend anzusprechen, ist für die Gewerkschaft zunehmend schwierig geworden. "An Lehrlinge und Beschäftigte in Industrie und Gewerbe kommen wir gut heran, zu Berufseinsteigern aus höher bildenden Schulen und Universitäten gibt es aber nicht genug Kontakt", sagt Achitz.

Mitverantwortlich dafür ist der Strukturwandel. Immer mehr Menschen arbeiten in immer kleineren Einheiten. So wächst der Anteil jener Arbeitnehmer, die in Betrieben unter fünf Beschäftigten tätig sind, seit Jahren beständig. Doch in derart kleinen Unternehmen gibt es keinen Betriebsrat, der in der Regel der verlängerte Arm der Gewerkschaft ist.

Es brauche verschiedene Gegenstrategien, erklärt Achitz. So wird auch telefonisch sowie mit Rabattaktionen, also einer zeitlich begrenzten Gratismitgliedschaft, geworben. "Grundsätzlich ist die Bereitschaft schon da. Was wir aber oft hören ist: ,Wir wurden noch nie gefragt.‘" Auch ehemalige Mitglieder, die im Zuge von Jobwechseln aus der Gewerkschaft ausscheiden und dann vergessen, sich erneut anzumelden, werden gezielt angesprochen.

Nicht zuständig ist die Gewerkschaft aber für die seit den 90er Jahren stark angewachsene Gruppe der Neuen Selbständigen. Das sind keine Unternehmer im herkömmlichen Sinn, und da ihnen meist ein Gewerbeschein fehlt, sind sie auch nicht Mitglied der Wirtschaftskammer.

Diese Form der Selbständigkeit ist vor allem ein städtisches Phänomen und betrifft überproportional, gut ausgebildete Arbeitnehmer, die ihre Dienstleistungen auf Werkvertragsbasis anbieten. Vor zehn Jahren hat der ÖGB mit work@flex eine Beratungseinrichtung für atypisch Beschäftigte geschaffen, doch Gewerkschaftsmitglieder bringt diese auch nicht.

"Wir können nur Scheinselbständige gut vertreten", sagt Bernhard Achitz. Eine freiberufliche Grafikerin, der etwa ein Honorar vorenthalten wird, bleibt so aber auf der Strecke. Sie muss sich selbst drum kümmern, ohne Hilfe von Kammer oder Gewerkschaft. Und das, obwohl sie vielleicht für eine Arbeit nicht bezahlt wurde, die sonst ein Angestellter gemacht hätte.

Junge gegen Alte

In den vergangenen Jahren ist es immerhin gelungen, freie Dienstverträge so umzugestalten, dass sie für Arbeitgeber unattraktiver wurden, zudem haben Kontrollen der Krankenkassen zu Anstellungen geführt.

Nicht zuletzt im Journalismus haben auch Kollektivvertragsverhandlungen bewirkt, dass viele Freie angestellt werden müssen. 90 Prozent der Mitglieder hatten für den neuen Vertrag gestimmt, obwohl dieser den Verzicht auf ein volles Monatsgehalt vorsieht. Vorangegangen waren genau deshalb aber heftige Diskussionen innerhalb der Gewerkschaft nach dem Motto: Junge gegen Alte.

"Diese Probleme gibt’s, weil es ein Altrecht gibt", sagt Achitz. "Der Ältere bleibt im alten Dienstrecht, für die Jungen gibt’s das neue, und das ist nicht besser." Wenn sich die Jugend aber nicht gut vertreten fühlt, ist das im Kampf gegen den Mitgliederschwund nicht hilfreich. "Es dauert in der Regel aber nicht lange, dass die Jungen zu den Alten werden", sagt Achitz. "Im Banken- und Versicherungssektor haben wir schon vier Dienstrechte."