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Die Gebete wurden nicht erhört. Mit gefalteten Händen forderte der UNO-Sonderbeauftragte für Zypern, Alvaro de Soto, zu Beginn der Verhandlungen zwischen Griechen und Türken auf der Insel vor einem halben Jahr die anwesenden Journalisten auf, für eine Einigung zu beten. Doch etliche Verhandlungsrunden später ist der Diplomat entmutigt: Die von den Verhandlungspartnern selbst gesetzte Frist bis Ende Juni ist ergebnislos verstrichen. "Den erhofften Durchbruch wird es nicht geben", sagte de Soto jetzt ratlos.
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"Wir stehen vor einem Rätsel", so der UNO-Beauftragte. Wenn sich dieses Rätsel nicht bald lösen lässt, dann kommt auf die Europäische Union ein geteiltes Zypern als neues Mitglied zu: Beim Kopenhagener Gipfel im Dezember werden die Europäer der international anerkannten (griechischen) Republik Zypern voraussichtlich für 2004 die Mitgliedschaft zusagen. Damit würde sich die EU einen hoch brisanten Konflikt ins Haus holen. Präsident Glafcos Clerides und sein Gegenspieler, der türkisch-zypriotische Volksgruppenführer Rauf Denktas, wollen ihre Gespräche trotz des bisherigen Misserfolges fortsetzen, haben die Verhandlungen aber bis 16. Juli unterbrochen. De Soto wollte die Zeit nutzen, um mit UNO-Generalsekretär Kofi Annan in Wien (vergangene Woche, Anm.) über die verfahrene Situation zu beraten. Ob es nach dieser Pause mit den Gesprächen schneller vorangeht, ist jedoch zweifelhaft.
Nach wie vor gibt es keine Annäherung in der Grundfrage, wie ein gemeinsamer Staat aussehen könnte. Die Insel ist seit 1974 geteilt: Nach einem (von der damaligen Athener Junta gesteuerten) Putsch griechisch-zypriotischer Extremisten gegen Präsident Erzbischof Makarios in Nikosia besetzte die türkische Armee damals auf Befehl des Ministerpräsidenten Bülent Ecevit das nördliche Drittel der Insel. Die türkische Seite besteht bis heute auf Anerkennung ihres eigenen Staates "Türkische Republik Nordzypern", die sich dann mit dem griechischen Teil zu einem losen Staatenbund zusammentun könnte; das wird von den griechischen Zyprioten und der UNO aber abgelehnt.
Die Erfolgsaussichten der Verhandlungen sind nicht nur wegen der inhaltlichen Gegensätze gering. In der Republik Zypern beginnt bald der Wahlkampf für die Präsidentenwahl im kommenden Frühjahr, was die Kompromissbereitschaft auf griechischer Seite schmälern dürfte, denn der greise Clerides kandidiert nicht mehr. Noch wichtiger ist die politische Krise in der Türkei, deren Regierung wegen der Erkrankung von Ministerpräsident Ecevit seit Anfang Mai praktisch handlungsunfähig ist und wo inzwischen EU-Anhänger und -Gegner um die Macht kämpfen. Mutige und bahnbrechende Zugeständnisse von der türkischen Schutzmacht sind deshalb unwahrscheinlich.
In Brüssel könnte die Blockade auf Zypern für Kopfschmerzen sorgen. Ist die Republik Zypern erst einmal EU-Mitglied, dürfte sie zusammen mit dem EU-Partner Griechenland eine härtere Gangart gegenüber der Türkei einfordern, was anderen EU-Staaten nicht unbedingt recht ist. Auf der anderen Seite droht die Türkei damit, den türkischen Teil Zyperns zu annektieren, falls die griechische Inselrepublik von der EU aufgenommen wird. Damit würde die Teilung der Insel zementiert, neue Spannungen zwischen der EU und Ankara wären die Folge.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer in der düsteren Landschaft gibt es aber doch. Die pro-europäische Partei CTP war vor einer Woche der klare Sieger bei Kommunalwahlen im türkischen Inselteil. Die CTP befürwortet eine rasche Wiedervereinigung ohne Vorbedingungen und eine gemeinsame EU-Mitgliedschaft. Dass die Partei ihren Stimmenanteil seit den letzten Kommunalwahlen 1998 von 20 auf 34 Prozent steigern konnte, ist ein Zeichen dafür, dass viele Menschen im verarmten und international isolierten türkischen Teil der Insel am Wohlstand der EU teilhaben wollen. Wenn diese Bewegung weiter an Stärke und damit auch an Einfluss gewinnt, könnten de Sotos Gebete doch noch Gehör finden...