Schluss, aus, vorbei. Drei Worte für ein Ereignis, das keinen kalt lässt: die Trennung. Angst und Verzweiflung machen sich breit, wenn es darum geht loszulassen. Doch in jeder Trennung steckt auch ein Neubeginn. Man muss ihn nur entdecken.
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Trennung ist das halbe Leben. Schon im frühen Kindesalter trennen wir uns von unseren Milchzähnen, vom Kindergarten, später beenden wir die Schule, verlassen unser Elternhaus, wechseln das Studium, unseren Arbeitsplatz oder die Wohnung. Wir ziehen in eine neue Umgebung und lassen die alte hinter uns zurück. Vielleicht lassen wir uns von unserem Ehepartner scheiden oder trennen uns von vermeintlichen Freunden. Langsam, aber sicher verabschieden wir uns auch von unserer guten Figur. Viele Trennungen vollziehen wir freiwillig, zu manchen Trennungen werden wir gezwungen, andere wiederum lassen sich nicht vermeiden. Trennung ist ein heikles Thema, von dem zwar alle betroffen sind, aber über das keiner wirklich reden will. Dabei kann sich zu trennen so schön sein. Es muss ja nicht immer gleich eine Beziehung auf dem Spiel stehen.
Trennung macht glücklich. Welcher erfolgreiche Ex-Raucher bereut schon seine Trennung von der Zigarette? Wer genießt nicht sein neues Outfit, wenn er sich von ein paar unschönen Kilos getrennt hat? Und wer ist nicht unsagbar erleichtert, wenn er endlich nach Jahren sein Kellerabteil entrümpelt hat? Es gibt sie also: die Trennung, die glücklich macht. Voraussetzung: Wir können loslassen. Nur dann wird nämlich Platz frei für neue Erfahrungen, neue Eindrücke und neue Entdeckungen. Warum aber ist die Angst vor Trennungen so groß? Warum trennen wir uns nicht von Menschen, die uns offensichtlich schaden? Warum ziehen wir nicht aus der viel zu lauten und zu teuren Wohnung aus? Warum suchen wir uns nicht einen neuen Job, obwohl uns die Arbeit überhaupt keinen Spaß mehr macht?
Angst vor dem Neuen. "Trennen heißt meistens, Vertrautes loslassen und sich in Unvertrautes hineinwagen, das macht Angst oder Wut, erfüllt uns mit Gefühlen von Unsicherheit und Verlassenheit", erklärt die erfolgreiche Sachbuchautorin und Psychotherapeutin Verena Kast die Angst vor dem Neuen. "Vielleicht wollen wir nur festhalten und vergessen, dass wir abschiedlich leben müssen, immer wieder Abschied nehmen müssen auf eine neue Zukunft hin."
Doch genau diese neue Zukunft macht vielen Menschen Sorgen. Dabei gibt es ohnehin kaum einen Lebensbereich, in dem wir uns auf Stabilität noch verlassen könnten. Wer weiß schon, womit er in fünf oder zehn Jahren sein Geld verdienen wird? Vielleicht gibt es seinen Arbeitsplatz dann schon gar nicht mehr. Für die Beziehung, die jetzt noch glücklich ist und gut funktioniert, gibt es keine Garantie auf Ewigkeit. Welche Zukunftschancen haben unsere Kinder? Bleiben wir gesund? Unsicherheiten, so weit das Auge reicht. Kein Wunder, dass sich da niemand gerne noch in weitere Unsicherheiten hineinstürzen will und sich die meisten wünschen, dass alles bleiben soll, wie es ist.
Still halten funktioniert nicht. Die Devise "Wer nichts tut, kann auch nichts falsch machen", scheint weit verbreitet zu sein. Nur leider: Sie stimmt nicht! Die Psychologin Lydia Lange vom Max-Planck-Institut Berlin hat untersucht, was Menschen rückblickend bereuen. Das Ergebnis gibt Anlass zur Hoffnung: Die Befragten haben weder ihre Fehler noch ihre Dummheiten bereut. Aber dass sie ihre Chancen verpasst haben, dass sie etwas nicht getan haben, das bereuten sie sehr. "Durch Passivität kann man Reue also nicht vermeiden, im Gegenteil, man schürt sie geradezu", resümiert Lydia Lange.
Weil wir aber schon früh lernen, die Flinte nicht gleich ins Korn zu werfen, halten wir nur zu oft an offensichtlich falschen Entscheidungen fest. Durchhaltevermögen ist schließlich eine Eigenschaft, die viele schätzen, auch wenn sie sich letztlich zu unserem eigenen Nachteil auswirkt. Die Münchner Motivationspsychologin Veronika Brandstätter hat untersucht, warum wir uns oft auch von sehr fragwürdigen Zielen nicht trennen können. "Menschen oder auch Unternehmen können sich vielfach deshalb nicht von schlechten Projekten verabschieden, weil sie sich dann eingestehen müssten, einen Fehler gemacht zu haben." Alle Investitionen, die bis dahin in dieses Projekt geflossen sind, wären dann verloren.
Verlorene Investitionen. "Im Organisationsbereich handelt es sich dabei immer um Geld, im privaten Bereich können es Emotionen und Anstrengungen sein, die als wertvolle Investitionen angesehen werden und eine Loslösung kostspielig erscheinen lassen." In einer Reihe von Studien wurde nachgewiesen, dass wir mit unseren Entscheidungen für ein bestimmtes Ziel auch ganz bestimmte Informationen ausblenden, weiß Brandstätter. "Sobald wir eine Entscheidung getroffen haben, sind wir nicht mehr objektiv. Wir vermeiden Informationen, die unsere Entscheidung in Frage stellen könnten." Um ja nicht loslassen zu müssen.
Dieses Prinzip funktioniert auch in Partnerschaften blendend, in denen sonst gar nichts mehr funktioniert. Die Betroffenen erkennen dann selbst in solchen Beziehungen noch irgendeinen Nutzen für sich, und mag der bloß darin bestehen, dass man die erschreckend hohen Kosten einer Trennung vermeidet, nicht allein leben oder gar umziehen muss.
Trennung auf Zeit. Was also tun, um nicht in diese Falle zu tappen und sich doch aus einer Beziehung zu lösen, die längst gescheitert ist? Ein probates Mittel, die Furcht vor einem Auseinandergehen zu dämpfen, ist eine Trennung auf Probe, empfiehlt Dietmar Stiemerling, Autor des Buchs "Wenn Paare sich nicht trennen können". Damit könne man Distanz schaffen, ohne gleich den endgültigen Bruch zu vollziehen. Trennungswilligen empfiehlt er: "Man benötigt ein soziales Netz in Form guter Freunde oder Verwandter, die einem Mut zusprechen, trösten und über Phasen der Verzweiflung hinweghelfen." Stiemerling ist überzeugt, dass ein Ende mit kalkulierbarem Schrecken allemal besser ist als ein Schrecken ohne Ende. "Das Schwerste ist die Einsicht ins Scheitern."
Doch selbst wenn die Beziehung ehrlich beendet wurde, überfallen den verlassenen Partner fast immer heftige Wutgefühle. Was nur zu verständlich ist, denn zumindest aus evolutionspsychologischer Sicht sind Liebe und Hass keine absoluten Gegensätze, sondern zwei Seiten einer Medaille, wie die US-amerikanische Anthropologin Helen Fisher erklärt. Sie weiß auch um den Zweck des Phänomens Bescheid: "Allem Anschein nach ermöglicht uns die Hassliebe, eine gescheiterte Liebesbeziehung zu beenden, damit wir wieder einen Neuanfang wagen können." Wie andere Forscher vermutet auch Helen Fisher fortpflanzungstechnische Gründe für den Hass, der die Trennung erleichtert: Wer sich trennt, wird frei, sich einen neuen Partner zu suchen.
Beeinträchtigtes Wohlbefinden. Einen Neuanfang wagen, das ist auch die Chance, die eine Trennung - und sei sie noch so schmerzhaft - mit sich bringt. Motivationspsychologe Joachim Brunstein von der Universität Gießen hat in einer Studie nachweisen können, dass Menschen, die an unrealistischen Zielen festhalten, statt sie aufzugeben, sich deutlich schlechter fühlen als jene, die ihre Ziele realistisch einstufen. "Das Festhalten an fragwürdigen Zielen beeinträchtigt auf jeden Fall unser Wohlbefinden", ist auch Psychologin Veronika Brandstätter überzeugt. Auch wenn das aus Angst vor dem Trennungsschmerz nur die Wenigsten wahrhaben wollen. "Abgesehen davon bleiben, wenn wir uns in Unmögliches verbeißen, wichtige Ressourcen gebunden, wir fühlen uns nicht frei, Neues in Angriff zu nehmen. Wertvolle Zeit geht verloren. Das gilt sowohl für das Privatleben als auch für berufliche Projekte."
Brandstätter empfiehlt daher eine Kosten-Nutzen-Analyse. "Wenn man feststellt, dass man das Ziel nur beibehält, weil die Kosten des Abbruchs zu hoch erscheinen, sollte man sich überlegen, welchen Nutzen man aus dem Aufhören ziehen könnte."
Wer mit dem Rauchen aufhören will, muss zwar auf die gute Zigarette nach dem Essen verzichten, gewinnt aber jede Menge neue Lebensqualität und kann sich obendrein mit dem ersparten Geld anderweitig belohnen. Wer sich vom Fernsehgerät trennt, gewinnt mehr Zeit für Gespräche mit Freunden und für das Lesen interessanter Bücher. Wer sich aus einer unglücklichen Beziehung löst, gewinnt wieder mehr Raum für sich selbst und kann vielleicht endlich lernen, seine eigenen Bedürfnisse zu verfolgen. Kosten oder Nutzen: Es kommt darauf an, wohin wir unseren Blick richten. Nach vorne oder zurück.
Erfülltes Leben. Dass es bisweilen schwer fallen kann, nach vorne zu schauen, das erfährt die Psychotherapeutin Verena Kast in ihrer Praxis immer wieder: "Mir fällt oft auf, wie Eltern ihre Kinder klein halten wollen. Die kleinen Kinder sind ja auch süß. Aber wenn man das festhalten will, dann geht alles schief." Ihre Devise lautet daher: "Genieße das, was du heute hast. Morgen ist es vielleicht vorbei. Dann kommt etwas Neues. Aber erst wenn man die Hände wieder leer hat, kann man auch wieder etwas nehmen."
Verena Kast ist überzeugt, dass denjenigen, die loslassen können, ein erfüllteres Leben in Aussicht steht: "Wenn wir einen eingeschlagenen Weg beharrlich immer weitergehen, obwohl wir wissen, dass wir in dieser Richtung keinen Schritt weiterkommen, dann wird das Leben nicht weniger vergänglich, es wird bloß weniger intensiv."