Entacher: Truppe im Einsatz muss sich behaupten können. | "Brauchen auch künftig Panzer und Artillerie." | Warnung vor Nischen-Strategie für das Bundesheer. | "Wiener Zeitung": Die halbe Republik versucht ernsthaft, eine Grundsatzdebatte über das Bundesheer zu führen. Die Einzigen, die an dieser Diskussion kein Interesse zu haben scheinen, sind die Verantwortlichen des Bundesheeres. Deren Standpunkt lautet: Wir können so weitermachen wie bisher, wenn auch von allem ein bisschen weniger".
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Edmund Entacher: Ihr Eindruck täuscht, das Bundesheer und seine Führung beteiligen sich durchaus intensiv an dieser Debatte. Es gibt auch keinerlei Besitzstandsdenken. Möglich ist allerdings, dass wir im Moment nicht das sagen, was viele hören wollen. Viele Teilnehmer an dieser Diskussion äußern, nun ja, nennen wir es "interessante Gedanken", sie gehen dabei aber nicht in die Tiefe. Als Verantwortliche können wir uns diesen Luxus der Oberflächlichkeit nicht leisten. Wir dürfen das Machbare nicht aus den Augen verlieren; selbst die kühnsten Ideen nutzen wenig, wenn sie keine Chance auf Realisierung haben. Aber natürlich überprüfen wir im Zuge dieser Auseinandersetzung auch althergebrachte Standpunkte.
Österreich ist nicht allein in einer Umbruchsituation. Andere Länder sind mutiger.
Es stimmt, die aktuelle Diskussion wurde aus dem Ausland angestoßen, vor allem durch Schweden, das die Wehrpflicht aufhob, und Deutschland, wo ebenfalls laut darüber nachgedacht wird. Aber derzeit rudern in Berlin einige wieder kräftig zurück. Ich finde, wir müssen in Österreich nicht jeden Fehler nachmachen, den andere vormachen .. .
. .. die überwältigende Mehrheit aller Staaten in Europa hat sich für ein Berufsheer entschieden . . .
... das ist schon richtig, aber wir hören ständig von Staaten, die mit Österreich vergleichbar sind, den guten Rat "Macht nicht den selben Fehler wie wir, bleibt bei eurer Wehrpflicht". Da geht es vor allem um budgetäre Gründe, aber auch um Rekrutierungsprobleme. Unsere Wehrpflicht ist zudem ein Mischsystem, wir haben Einheiten, die den Charakter eines Berufsheeres besitzen, etwa bei den Fliegern und bei den Kadern. Hinzu kommt noch die Milizkomponente, die zu Unrecht oft unter Wert geschlagen wird. Für Österreich ist dieses Mischsystem höchst zweckmäßig.
Diese Zweckmäßigkeit ändert nichts an den Akzeptanzproblemen: Milde ausgedrückt hat nicht jeder Wehrdiener das Gefühl, etwas rasend Sinnvolles geleistet zu haben. Die meisten sind als Fahrer, Köche, Kellner, Mechaniker, Schreiber billige Erhalter eines Systems und schlagen ihre Zeit tot.
Das ist wirklich ein kritischer Punkt, hier haben wir Schwachstellen. Derzeit leisten von den 25.000 jährlichen Wehrdienern rund 60 Prozent ihren Dienst als Systemerhalter. Dass dadurch Sinn- und Akzeptanzprobleme entstehen, muss man einfach erkennen. Hier haben wir dringenden Optimierungsbedarf und es sind auch bereits entsprechende Programme in Arbeit, um mehr Erlebnis - und damit auch mehr militärische Ausbildung - für die Wehrpflichtigen zu erreichen. Bei keinem Grenadier, Pionier oder Infanterist, der in der Vollausbildung steht, wird man solche Sinnfragen erleben. Die rücken ein, durchlaufen eine Maschine und könnten tagelang erzählen. Systemerhalter haben dagegen zu wenig zu erzählen.
Außer von Monotonie und Eigenheiten wie dem Abendessen, das bereits um 16 Uhr serviert wird, sodass man um 21 Uhr wieder Hunger hat und am Ende mit zehn Kilo Übergewicht abrüstet.
Ja, das gibt es alles, und wir arbeiten daran, dass solche Geschichten wie ein viel zu frühes Abendessen korrigiert werden, dass es mehr dienstlichen Sport gibt. Wir werden den Dienst der Systemerhalter deutlich optimieren.
Was ist hier das Ziel?
Wenn wir es schaffen, die Zahl der Systemerhalter bei den Wehrdienern innerhalb von drei Jahren von derzeit 60 auf dann 40 Prozent zu drücken, ist das ein großer Erfolg. Dazu müssen wir die Zahl der elf Einrückungstermine deutlich reduzieren. Bisher haben wir das nicht gemacht, weil wir für alle ganzjährig eine gleichmäßige Einsatzbereitschaft hatten. In Zukunft wird die Einsatzbereitschaft differenzierter und noch effizienter gemacht.
Haben Sie das Vertrauen in die Politik, dass jeder derzeit kursierende Vorschlag ausschließlich die Interessen des Bundesheeres zum Ziel hat?
Es werden im Moment viele Ideen in die Debatte geworfen. Und wenn irgendwann die Peinlichkeit der Durchführung kommt, dann platzen manche dieser Ideen wie Seifenblasen. Missverstehen Sie mich nicht: Wenn Ideen vorgebracht werden, die gut und auch umsetzbar sind, dann werden diese selbstverständlich aufgegriffen. Aber realisierbar sollten sie zumindest sein.
Wenn Sie die Chance hätten, die Struktur des Bundesheeres völlig frei neu zu denken, was würden Sie ändern?
Wenn man dabei von der bestehenden gesetzlichen Regelung der Wehrpflicht ausgeht, wird man auch in den nächsten Jahren die Grundorganisation weiter straffen, das heißt bei der Verwaltung weiter abbauen. Die Truppenstärke soll gleich bleiben, die Binnenstruktur jedoch angepasst werden. Gewisse Verbände und Waffengattungen werden dann etwa bei einem Panzer-Battaillon anders ausschauen als heute.
Braucht Österreich überhaupt noch Panzer?
Oh ja, die werden wir auch künftig benötigen. Schauen Sie, als die verschiedenen Länder in den Irak gingen, haben alle auf Light-Waffensysteme gesetzt. Die mussten sie dann mühsam wieder aufrüsten, weil diese Fahrzeuge dem feindlichen Beschuss nicht standgehalten haben. Das war uns schon vorher klar. Dasselbe zeigte sich im Kosovo oder Afghanistan. Natürlich sprechen wir hier nicht von Panzerarmeen aus dem Kalten Krieg, aber auch bei Beobachtungs- und Sicherungsmissionen sind schwer gepanzerte Fahrzeuge unerlässlich. Das gilt auch für die Artillerie: Auch hier brauchen wir deutlich weniger, da aber vor allem Präzisionsmunition. Generell gilt: Bevor man etwas abschafft, sollte man sich besser zwei Mal am Kopf kratzen.
Und wie soll sich das Bundesheer in diesem geänderten Umfeld positionieren?
In Österreich gibt es viele Stimmen, die sagen, das und das wollen wir nicht, brauchen wir nicht, können wir nicht. Das gilt naturgemäß vor allem für die heiklen Bereiche. Mein Zugang ist: Schauen wir uns an, wie sich die Europäische Union positioniert. Sollte diese, was ich sehr hoffe, weiter zusammenwachsen, werden wir wohl auch weitere militärische Aufgaben übernehmen. Da wäre es jetzt nicht klug, die schweren Waffen auszugliedern und zu verkaufen. Klüger ist es, deren Betrieb zu reduzieren, um so die Sparziele zu erreichen. Damit zerstöre ich aber nicht gleich die Strukturen. Mit der Zeit wird sich dann herauskristallisieren, welche Eintrittswahrscheinlichkeiten auf uns zukommen.
Hier ist stets vom Ziel einer europäischen Lastenaufteilung wie "Burden sharing" oder "Pooling" die Rede. Soll Österreich mitmachen?
All diese Begriffe sind in der Theorie interessant, in der Praxis aber blutig. Der besondere österreichische Zugang, nach dem die anderen machen sollen, was wir nicht können oder wollen, entspricht dem Motto "Spritz mich an, aber mach mich nicht nass". Das wird auf Dauer nicht gehen. Bei uns wird immer so getan, als ob Friedensrhetorik und Einsatzbereiche zusammenhängen, das ist aber nicht der Fall. Wenn die Politik die Entscheidung über einen Einsatz getroffen hat, dann muss die Truppe auch so zusammengesetzt sein, dass sie sich auch behaupten kann, alles andere wäre verantwortungslos. Es wäre verhängnisvoll, würde man jetzt die tagespolitischen Friedenswünsche in den Strukturen des Bundesheeres abbilden. Wir dürfen dort, wo wir im Einsatz sind, auf keinen Fall der Schwächste sein, andernfalls würden wir zum Angriffsziel Nummer eins.
Haben Sie das Gefühl, mit diesem Standpunkt bei der Politik durchzudringen? Die Sehnsucht nach Spezialisierung auf bestimmte Sonderaufgaben scheint nicht nur in der Politik, sondern auch bei Militärs weit verbreitet.
Ich glaube nicht, dass ich hier alleine kämpfe. Das blöde mit der Spezialisierung auf Nischen ist, dass man dann immer drankommt. Denken Sie nur an unsere vielzitierten Gebirgsjäger, die kämen de facto in jeder Kaukasus-Region zum Einsatz. So toll wäre das nicht. Und was die beliebte Variante angeht, dass wir die Wasseraufbereitung stellen, kommt man dann eben oft darauf, dass die niemand braucht.
Zur PersonGeneral Edmund Entacher, geboren 1949 in Großarl (Salzburg), ist seit 2007 Generalstabschef und damit höchster Offizier des Bundesheeres. Er ist Witwer und Vater von zwei Kindern.