Sozialdemokraten stehen vor Wahlsieg - und vor einer Zerreißprobe.
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Prag. Es sind schwierige Zeiten für Miroslava Nemcova: Die Spitzenkandidatin der tschechischen Bürgerlichen Demokraten (ODS) spaziert in Prag über einen Bauernmarkt, bleibt an Ständen stehen, lässt sich Waren zeigen, kauft etwas ein. Doch so wirklich ins Gespräch mit den Leuten kommt sie bei ihrem Werben um Wähler nicht. Umringt wird sie fast nur von Wahlhelfern.
Die Tschechen wenden sich von der ODS ab. Der Mitte-Rechts-
Bewegung, die nach der Wende 1989 drei Premierminister stellte, droht das Ende als Großpartei. Für die Parlamentswahl am Freitag und Samstag werden der ODS lediglich sechs, sieben Prozent der Stimmen prognostiziert.
Ihr Absturz hat auch einen ironischen Beigeschmack. In den vergangenen drei Jahren stellte sie die Regierung mit der Partei Top 09 von Außenminister Karel Schwarzenberg. Noch nie zuvor konnten Polizei und Staatsanwaltschaft laut Beobachtern so frei ermitteln. Und getroffen haben die Enthüllungen vor allem die ODS.
So stürmte die Polizei im Juni den Regierungssitz und führte eine Razzia durch. Es kam heraus, dass die Büroleiterin des ODS-Premiers Petr Necas, Jana Nagyova, die damalige Frau von Necas angeblich hat abhören hat lassen (mittlerweile hat Necas Nagyova geheiratet). Zudem soll Necas drei widerspenstigen Abgeordneten lukrative Staatsposten angeboten haben. Er musste zurücktreten - und mit ihm die Regierung. Bis zu den vorgezogenen Wahlen regiert nun ein von Präsident Milos Zeman eingesetztes und diesem nahestehendes Fachkabinett.
"Klausismus ohne Klaus"
Die ODS wird nun für ihre Skandale abgestraft werden. Der Prager Politologe Bohumil Dolezal sieht aber auch noch ein tiefgründigeres, strukturelles Problem bei der ODS, das es ihr schwer machen könnte, sich wieder zu erholen. Gegründet wurde die Partei von Vaclav Klaus, der ihr auch ihr neoliberales Gesicht gab. Später wendete sich der Ex-Präsident von der ODS ab, doch der gelang es nie, sich von ihrem streitbaren Ex-Vorsitzenden abzugrenzen. In der ODS war gar von einem "Klausismus ohne Klaus" die Rede. "Sie wird nicht als Partei wahrgenommen, die fähig ist, ohne Klaus zu leben", sagt Dolezal.
Die Führung im rechten Lager könnte nun die konservative Top 09 übernehmen. Aber auch sie muss darum kämpfen, bei der Wahl in den zweistelligen Prozentbereich vorzustoßen. Denn mit Ex-Finanzminister Miroslav Kalousek hat sie Sparmaßnahmen federführend mitverantwortet. Der Mitte-Rechts-Koalition gelang es zwar, die Staatsverschuldung gering zu halten - in Jahr 2012 betrug diese rund 46 Prozent des BIPs. Dafür wurden aber etwa die Mehrwertsteuer erhöht oder Gehälter im Staatsdienst eingefroren. Populär gemacht hat sich die Regierung damit nicht. Profitieren davon könnten die Sozialdemokraten (CSSD).
Am Prager "Platz des Friedens", der von Jugendstilhäusern umgeben ist, hat die CSSD ein oranges Zelt aufgebaut, in dem eine Band trompetet, davor tummeln sich Kinder in einer Hüpfburg. Die Stimmung bei den Genossen ist angesichts des prognostizierten Wahlsieges gut. Jaroslav Zavadil verteilt Flugblätter und Rosen. Der Mann mit Sportschuhen, ausgewaschenen Jeans und Sakko ist der Spitzenkandidat der Partei in der Region Prag. Die Leute bräuchten wieder mehr soziale Sicherheit und mehr Vertrauen in den Staat, sagt er.
Die Sozialdemokraten wollen nach sieben Jahren in der Opposition wieder regieren. Spekuliert wird nun, dass ihr Vorsitzender Bohuslav Sobotka versucht, eine Minderheitsregierung zu bilden, die von den Kommunisten und vielleicht auch von der SPOZ, der Partei von Präsident Milos Zeman, geduldet wird.
Kommunisten sind zurück
Die SPOZ kämpft um das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament. Die Kommunisten (KSCM) liegen in den Umfragen zwischen 12,5 und 18 Prozent. Das Tabu, die Partei, die sich kaum von der Vergangenheit distanziert hat, an der Macht zu beteiligen, gilt offenbar nicht mehr - sie unterstützt bereits das Übergangskabinett von Zeman.
"Gegenüber der KSCM herrscht heute eine viel größere Gleichgültigkeit als in der Vergangenheit", sagt Dolezal, der während des Sozialismus die Charta 77, das Manifest der Dissidenten, unterschrieben hat. Denn die Erinnerung an die Zeit zwischen 1948 und 1989 rücke immer mehr in die Ferne - mit der Zeit würden ja auch immer weniger Leute eine unmittelbare Erfahrung mit dem Sozialismus verbinden. Zudem hätte die Debatte über Korruption in der Politik andere Themen überlagert.
Auch der CSSD-Kandidat Zavadil lässt durchblicken, dass er eine Minderheitsregierung bevorzugen würde. Aber: "Wir müssen erst das Ergebnis abwarten, es hat keinen Sinn, sich vorher schon festzulegen", räumt er ein.
Viele Wähler sind noch unentschlossen, was die Prognosen unsicher macht. Klar scheint, dass die Mitte-Rechts-Parteien verlieren werden und dass die CSSD als Erste über die Ziellinie gehen wird. Aber sie schwankt zwischen 22,8 und 28,5 Prozent. Und damit ist unklar, ob sich eine linke Minderheitsregierung ausgehen wird.
Tschechien könnte damit ein Parlament bekommen, in dem es weder eine linke noch eine rechte Mehrheit gibt und in dem zwischen den Lagern die Partei ANO sitzt. Diese wurde vom Milliardär Andrej Babis gegründet und könnte sogar an zweiter Stelle landen. Babis nützt geschickt den Frust der Tschechen über Politskandale - auch die CSSD hatte welche - aus. Er präsentiert sich als Anti-Politiker, als Geschäftsmann mit Lebenserfahrung, der mit den Parteisoldaten aufräumt. ANO will sich ideologisch nicht festlegen, sondern auf Fachleute setzen. Vorerst will die Partei, die für den Wahlkampf Geld wie keine zweite hat, aber voraussichtlich in der Opposition bleiben.
Die Machtspiele Zemans
Dem Land könnten also äußerst komplizierte Koalitionsverhandlungen bevorstehen. In die sich sicher auch Präsident Milos Zeman einmischen wird. Dem ehemaligen CSSD-Vorsitzenden wird von Rechtspolitikern vorgeworfen, immer mehr Macht an sich reißen zu wollen. Als Vehikel diene ihm dazu seine Ex-Partei, in der er immer noch viel Einfluss hat. Die CSSD ist laut Beobachtern in ein Pro- und Anti-Zeman-Lager gespalten. Nun wird spekuliert, dass Zeman die CSSD zwar nach ihrem voraussichtlichen Wahlsieg mit der Regierungsbildung betraut, aber gleichzeitig versucht, seine Leute in der Partei in Stellung zu bringen. Der CSSD droht damit eine Zerreißprobe.