Landkäufe in armen Ländern 2009 sprunghaft gestiegen. | "Den Armen wird der Boden unter den Füßen weggezogen." | Wien. Private Investoren und Staaten mit wenig Agraranbauflächen kaufen immer mehr Land in Entwicklungsländern auf - und bedrohen damit die globale Ernährungssicherheit. Deshalb steht die Landnahme (Land Grabbing) im Mittelpunkt des am Montag eröffneten Welternährungsgipfels des UN-Welternährungsausschusses in Rom. | Hohe Preise, hungrige Mägen
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Die Weltbank macht in einem kürzlich veröffentlichten Bericht einen Trend zu Käufen von Anbauflächen im großen Stil aus. Seit der Nahrungsmittelkrise 2008 sind die Landkäufe sprunghaft angestiegen: Allein 2009 wurden 45 Millionen Hektar Anbaufläche verkauft, heißt es in dem Bericht. Das entspricht in etwa der Größe Schwedens. Zum Vergleich: Im Jahrzehnt davor wurden pro Jahr nur vier Millionen Hektar Land verkauft.
Die hohen Nahrungsmittelpreise 2007/08 haben importabhängige Länder an ihre verwundbare Lebensmittelsicherheit erinnert. Nun nutzen sie Landkäufe, um ausschließlich für den Export in ihr Land zu produzieren. Die Landnahme wird einerseits durch die gestiegene Nachfrage nach Lebensmitteln angeheizt, zum anderen durch die Förderung von Bioenergie.
Im Visier der Landkäufer sind vor allem afrikanische Länder mit korrupten Regierungen sowie Lateinamerika und Südostasien: Sudan, Ghana und Madagaskar gehören der Weltbank zufolge zu den Top-Zielen. Auch in Brasilien und Argentinien sowie in Indonesien und den Philippinen werden Flächen oft zu Spottpreisen verkauft.
Europas Hunger nach Biosprit treibt Landkauf
Die größten Investoren sind China, Großbritannien und Saudi Arabien. Europas Nachfrage nach Biosprit sei eine Haupttriebfeder für den Landraub in Afrika, sagt Adrian Bebb von Friends of the Earth International: "Um Autos mit dem vermeintlich grünen Sprit zu tanken, nehmen in den afrikanischen Ländern Hunger und Versorgungsunsicherheit zu." Eine Erhebung der Umweltschutzorganisation in elf afrikanischen Staaten ergab, dass fünf Millionen Hektar Fläche für die Biosprit-Produktion genutzt werden - das wäre eine Fläche größer als Dänemark. Der Biosprit gelange großteils nach Europa.
Kritiker warnen daher vor einem "neuen Kolonialismus". Befürworter sehen dagegen eine Chance für die wirtschaftliche Entwicklung in armen Ländern, weil die Investments ihrer Ansicht nach besseren Zugang zu Technologie und mehr Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten schaffen.
Dramatische Folgen für lokale Bevölkerung
Tatsächlich ziehen bei Landkonflikten aber lokale Kleinbauern häufig den Kürzeren. Die Bauern werden vertrieben, weil sie keine Kauf- oder Pachtverträge für das von ihnen bewirtschaftete Land vorlegen können. "Den Armen wird der Boden unter den Füßen weggezogen", schreibt die Welthungerhilfe. Die Bevölkerung verliert den Zugang zu ihrem Land und auch jenen zu Wasserquellen.
In einigen Fällen arbeiten die Bauern in sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen für die Käufer oder Pächter, einige - vor allem chinesische - Investoren bringen gleich ihre eigenen Arbeitskräfte ins Land mit. Damit verlieren Bauern nicht nur ihr Einkommen, sondern auch den Zugang zu angemessener Nahrung, kritisiert die Welthungerhilfe.
Pläne zur Landnahme stoßen daher auf heftigen Widerstand: In Madagaskar haben etwa im Frühjahr 2009 Verhandlungen mit Daewoo über die Pachtung von 1,3 Millionen Hektar Land für den Anbau von Mais und Ölpalmen auf 99 Jahre zum Sturz der Regierung geführt.
Entwicklungshilfeorganisationen fordern nun verbindliche Regeln für transnationale Landkäufe. Die Weltbank kritisiert die mangelnde Transparenz von Land-Deals. "Die bislang vorgesehenen freiwilligen Regeln der Welternährungsorganisation FAO und der Weltbank reichen angesichts der Auswirkungen von Land Grabbing auf in Armut lebende Menschen nicht aus", kritisiert Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam.
Wissen: Eine Milliarde hungert
Rund eine Milliarde Menschen leiden infolge von Armut, Konflikten und politischer Instabilität unter Hunger. In 29 Ländern ist die Hungersituation sehr ernst oder sogar gravierend, zeigt der am Montag veröffentlichte Welthunger-Index 2010. Zwar ist der Hunger-Index weltweit - auf einer 100-Punkte-Skala - von 19,8 auf 15,1 gesunken. Das Niveau bleibe aber insgesamt immer noch besorgniserregend hoch, teilte die Welthungerhilfe mit.
Für den Index werteten das Forschungsinstitut IFPRI, die Hilfsorganisation Concern Worldwide und die Welthungerhilfe Daten aus 122 Ländern aus. Verglichen wurden der Anteil unterernährter Menschen, die Zahl untergewichtiger Kinder und die Kindersterblichkeit.
Mit Ausnahme von Haiti und dem Jemen liegen alle Länder, in denen die Situation als "alarmierend" eingestuft wird, in Afrika. Am dramatischsten ist die Situation südlich der Sahara: Im vom Bürgerkrieg geplagten Kongo sind dem Index zufolge drei Viertel der Bevölkerung unterernährt. Die Kindersterblichkeit ist dort eine der höchsten weltweit. In der Studie heißt es, der seit Ende der 90er Jahre anhaltende Bürgerkrieg habe zu einem "Zusammenbruch der Wirtschaft, massiven Vertreibungen von Menschen und chronischer Nahrungsmittel-Unsicherheit" geführt. Hinter dem Kongo folgen Burundi, Eritrea und Tschad. Auch in Südasien sei die Situation nach wie vor schwierig.
Die Mangelernährung bei Kindern unter zwei Jahren stellt laut Welthungerhilfe eine der größten Herausforderungen im Kampf gegen Hunger dar: Sie habe lebenslange Auswirkungen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
Die UN-Welternährungsorganisation (FAO) schätzt in ihrem Welthungerbericht, dass die Zahl der weltweit unter Hunger leidenden und unterernährten Menschen im laufenden Jahr erstmals in 15 Jahren sinken wird. Die Zahl wird von 1,023 Milliarde auf 925 Millionen Menschen zurückgehen.
Grund für die Entwicklung sei, dass sich nach der Weltwirtschaftskrise die Bedingungen in den Entwicklungsländern verbessert hätten und die Lebensmittelpreise gesunken seien. Die UN will die Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015 halbieren.