Finanzbedarf der Gemeinden steigt - gibt’s mehr Geld oder weniger Ausgaben?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Herbert Schoberer ist seit 20 Jahren Bürgermeister der steirischen Gemeinde Naintsch in der Nähe von Weiz. "Es war eine schöne Zeit", sagt er. Schoberer, ein Landwirt, spricht bereits in der Vergangenheit, doch noch ist er Bürgermeister. Bis Naintsch als Gemeindename verschwinden wird. Denn der Ort wird mit Anger, Baierdorf und Feistritz fusionieren, dann wird es nur noch Anger geben. "Das ist ja sowieso schon jetzt das Zentrum", sagt er.
Die schöne Zeit, sie endete für Schoberer nicht erst mit dem Fusionsbeschluss der vier Ortschaften vor fast genau einem Jahr, sondern ein paar Wochen davor. Die Gemeinde musste die Volksschule zusperren. Und das für immer. "Es war einer der schwärzesten Tage meiner Amtszeit", erzählt der Bürgermeister. Man hätte alles versucht, sagt er, sogar eine Neugründung als Privatschule, aber das war finanziell nicht zu stemmen. Und das Land Steiermark ließ sich auch nicht überzeugen. "Wir hatten ja nur noch zehn Schüler", sagt Naintsch. Zwanzig sind das Minimum. Einige übersiedelten in die Volksschule Haslau, doch diese Schule soll ebenfalls schließen. Insgesamt wird es rund 40 Schulen in der Steiermark treffen.
In Naintsch gibt’s zwar einen Schulbus und Anger ist auch nicht weit. Doch Schoberer hegt die Befürchtung, dass junge Familien nun wegziehen werden, wenn die Schule einmal geschlossen ist. "Die Gefahr ist sicher größer, dass es zu Abwanderungen kommt", sagt er. Der Kindergarten wird gerade noch so erhalten. Und dass neue Betriebe kommen? Keine Chance, nur eine Hoffnung: die Fusion.
Die Gemeinde Naintsch ist ein Beispiel von vielen. Die Menschen ziehen weg aus dem ländlichen Raum, hin zu Städten, und sei es an den Stadtrand, wo das Grün das Grau überwiegt. Naintsch hat seit den 80er Jahren rund 20 Prozent seiner Bevölkerung eingebüßt, das ist nicht einmal viel. In einigen Regionen haben sich Gemeinden nahezu halbiert, dazu kommt die demografisch bedingte Überalterung.
Für Gemeinden ist dieser strukturelle Wandel eine enorme Herausforderung, wie das IHS Kärnten im Vorjahr in einer Studie untersuchte. So gelte es, "einerseits bestehende Angebote trotz sinkender Auslastung zu erhalten (z.B. Schulen, Kindergärten), um eine zusätzliche Abwanderung zu verhindern; andererseits erfordert der höhere Anteil an älteren Menschen den Ausbau und die Anpassung von diversen Leistungen (z.B. altersgerechte soziale Infrastruktur, Mobilitätsangebote)."
Großer Investitionsstau
Doch das kostet. Helmut Mödlhammer, Präsident des Gemeindebundes, weist auf die "überdurchschnittlich gestiegen Transferleistungen bei Bildung und Gesundheit" hin. Die zunehmende Dynamik bei den Wohlfahrtskosten lässt andere notwendige Investitionen ins Hintertreffen geraten. Zwar offenbarte der Finanzbericht der Gemeinden erstmals seit 2008 steigende Investitionen, allerdings sind diese nach wie vor deutlich unter dem Niveau vor der Krise. "Der Investitionsstau ist groß", sagt Mödlhammer.
Die Bevölkerung verlangt allerdings auch nach diesen Investitionen, sie verlangt eine gut funktionierende Infrastruktur, eine gute öffentliche Anbindung und gute Straßen. Doch all das kostet und kostet und kostet. "Wenn es einen Rückschritt gibt, dann verkraftet das die Jugend nicht", sagt Bürgermeister Schoberer. "Wir haben ja nicht umsonst fusioniert, wir wollen diesen Level halten." Doch Abwanderung lässt sich kaum aufhalten, nur etwas nach hinten verschieben.
Die Steiermark geht das Thema Fusionen jedenfalls sehr forsch an, doch in der Bevölkerung regt sich teilweise massiver Widerstand dagegen. Ab 2015 sollen aus 539 nur noch 382 Gemeinden werden, am Donnerstag brachte Landeshauptmann Franz Voves ein entsprechendes Gesetz in die Landesregierung ein, um widerspenstige Gemeinden zwangsweise zusammenlegen zu können.
In der Schweiz, wo ländliche Gemeinden vor ähnlichen Herausforderungen stehen, gibt es seit Jahren Fusionen. Im Kanton Glarus wurden 25 Gemeinden zu nunmehr drei zusammengelegt: Glarus, Glarus-Nord, Glarus-Süd.
Doch in der Wissenschaft ist es keineswegs unumstritten, wie groß idealerweise eine Gemeinde sein soll. Was ist zu klein? Was ist zu groß beziehungsweise zu großflächig? Antworten auf diese Fragen sind uneinheitlich, auch in der Schweiz herrscht nach wie vor eine lebhafte Diskussion darüber, ob Fusionen tatsächlich eine Lösung für diese Probleme sind oder nur eine Hoffnung darauf.
Mehr Effizienz als Ausweg?
"Die Zahl der Gemeinden mit Strukturproblemen wächst", sagt jedenfalls Gemeindebund-Präsident Mödlhammer. Eine finanzielle und organisatorische Entlastung der Gemeinden ist durch Verwaltungsreformen durchaus möglich, realpolitisch aber immens schwer, wie auch Mödlhammer weiß. "Aber der Druck aufgrund der finanziellen Not ist jetzt ziemlich stark". Das ist die Hoffnung Mödlhammers.
Doch eine Effizienzsteigerung schafft die prinzipielle Herausforderung von Abwanderung einerseits und steigenden Sozialausgaben andererseits nicht aus der Welt. Von den insgesamt 3135 Volksschulen in ganz Österreich hat etwa ein Drittel weniger als 60 Schüler, es gibt mittlerweile mehr als 100 Volksschulen, die weniger als 20 Schüler haben.
Wie man dieser Entwicklung in Zukunft begegnet, wird auch in den Verhandlungen über einen neuen Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden eine wesentliche Rolle spielen. Gemeinden sind in der Vergangenheit einige Einnahmequellen, etwa die Getränkesteuer, weggebrochen. Um die gestiegenen Wohlfahrtsausgaben auch in zehn Jahren noch schultern zu können, werden die Gemeinden daher mehr Geld fordern. Doch woher nehmen? Vom Land? Vom Bund? Die neue Regierung wird sich der grundsätzlichen Frage stellen müssen, wie viel ihr die Erhaltung des ländlichen Raums wert ist und wie dieser aussehen soll.
Rein äußerlich wird sich in Naintsch auch nach der Fusion wenig ändern, abgesehen davon, dass die Schule nun leer steht. Der erstmals im Jahr 1364 als
Nuentsch erwähnte Ort wird aber aus den Kartenverzeichnissen verschwinden. "Die Fusion", sagt Bürgermeister Schoberer, "ist unsere einzige Chance."