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Die Bestellung einer Regierungschefin ruft noch immer Freude hervor - denn sie ist noch immer keine Selbstverständlichkeit.
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Da ist sie wieder, die Diskussion um Frauen in Spitzenpositionen. In diesem Fall macht sich in der aufgeklärten, vor allem westeuropäischen Weltgegend Zufriedenheit breit. In Österreich soll erstmals eine Bundeskanzlerin die Geschäfte führen. Betont wird zunächst einmal das; auch wenn kurz danach schnell die Kompetenz gelobt wird. Diese wird Brigitte Bierlein quer durch alle politischen Gruppierungen attestiert. Aber trotzdem - immerhin eine Frau...
Ist der Jubel darob jedoch angebracht? Sollte es nicht mittlerweile eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen Topjobs innehaben? Muss das noch thematisiert werden, wenn der Mensch, der ein hohes Amt übernimmt, dem weiblichen Geschlecht angehört, das ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung ausmacht?
Bierlein selbst ist keine Freundin der Frauenquote. In Interviews hat die ehemalige Höchstrichterin klar-
gemacht, dass sie so einen Schlüssel nicht für die Lösung des Problems hält. Ironischerweise wird aber bei den Überlegungen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Suche nach einem interimistischen Regierungschef die Idee, eine Regierungschefin einzusetzen, wohl durchaus eine Rolle gespielt haben. Und die öffentliche Freude darüber rückt diesen Aspekt noch mehr ins Rampenlicht - was der Beteiligten nicht unbedingt recht sein muss.
Dennoch ist das Thema nicht obsolet, und der Feminismus muss weiter an seiner Selbstauflösung arbeiten - so lange, bis er seine Ziele und damit Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern erreicht hat. Denn die ist eben nicht selbstverständlich. Die Hälfte der Weltbevölkerung stellt nur einen Bruchteil der Regierungschefs: In knapp 200 Staaten stehen gerade einmal ein Dutzend Frauen an der Spitze eines Kabinetts. Dass es in Europa derzeit sieben sind, sagt nicht viel über die Vorreiterrolle des Kontinents aus. In Lateinamerika und Asien gab es häufiger mächtige Staatenlenkerinnen - mächtigere als die britische Premierministerin Theresa May, die schon ihren Rückzug angekündigt hat, oder die Regierungschefinnen Rumäniens und Serbiens, Viorica Dancila und Ana Brnabic, deren Karrieren mehr von Männern aus ihren Parteien abhängen denn von der Wählerschaft.
Bierlein wird übrigens bei den Gipfeltreffen der 28 EU-Staats- und Regierungschefs bald die einzige Frau neben der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sein. Rumänien repräsentiert bei den Zusammenkünften nämlich Präsident Klaus Johannis, und May tritt ab - ebenso wie eine andere Gipfelteilnehmerin, die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite.
Die Suche nach qualifizierten Frauen wird nun aber wieder losgehen. Es gilt, mehrere EU-Topjobs zu verteilen. Bisher sind vier der fünf Posten mit Männern besetzt. Geht es nach EU-Ratspräsident Donald Tusk, sollte die Zahl der Frauen zumindest verdoppelt werden - also auf zwei wachsen.
Tusk ist der konservativen Parteienfamilie der EVP (Europäische Volkspartei) zuzurechnen. Mit den Sozial- haben die Christdemokraten gemein, dass beide Fraktionen keine Spitzenkandidatinnen für die EU-Wahl aufgestellt hatten. Beide haben auf Männer gesetzt.