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Auf freiem Fuß

Von Ina Weber

Politik

Fehlende Stichhaltigkeit, formale Fehler: Der Schlepper-Prozess wurde vertagt.


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Wien/Wiener Neustadt. "Der Fall müsste eigentlich an den Untersuchungsrichter zurückgeleitet werden. Aber das sieht die neue Strafprozessordnung nicht mehr vor", mit diesen Worten begründete Richterin Petra Harbich am Donnerstag das vorläufige Aus des umstrittenen Schlepper-Prozesses in Wiener Neustadt. Es gebe "Faktenidentitäten und -überschneidungen", sagte sie, so könne sie mit dem Fall nicht mehr weitermachen. Danach ging es Schlag auf Schlag: Ausgerechnet die Staatsanwältin, Gunda Ebhart, plädierte für die Enthaftung der sechs von insgesamt acht Angeklagten - zwei sind bereits auf freiem Fuß. Die Männer, darunter ehemalige Servitenkloster-Flüchtlinge, denen Schlepperei vorgeworfen wird, wurden am Donnerstag freigelassen.

Eine Staatsanwältin, die für Enthaftung plädiert, eine Richterin, die zunächst "auf unbestimmte Zeit" vertagen will, und eine Anklageschrift, die von Anfang an umstritten war und Aktenverweise enthält, die nicht stimmen: Das Landesgericht Wiener Neustadt ist damit in einer Reihe von umstrittenen und manchmal etwas absurd anmutenden Fällen um eine Facette reicher. "Wir schreien nicht ,Hier!‘, wenn es um solche Verhandlungen geht", sagte der Wiener Neustädter Gerichtssprecher Hans Barwizius zur "Wiener Zeitung". "Das Gericht muss die Fälle verhandeln, die ihm zugeteilt werden." Und das Oberlandesgericht Wien hat im Vorfeld des Schlepper-Prozesses trotz Einspruchs eines Verteidigers bestätigt, dass sowohl Wiener Neustadt der richtige Ort sei, als auch die Verdachtsmomente für eine Anklage sehr wohl ausreichen würden. Auf welcher Grundlage diese Entscheidung getroffen wurde, wollte das Oberlandesgericht Wien am Donnerstag nicht bekanntgeben. "Die Verdachtsmomente reichten für eine Anklage aus", hieß es.

"Wie viele Freunde haben Sie?"

So startete am 17. März der Prozess, der am 6. Mai beendet werden sollte. Doch so weit kam es nicht. Die am Mittwoch und Donnerstag durchgeführte Beschuldigtenvernehmung führte dazu, dass bei Richterin Harbich der Eindruck entstand, dass gewisse Tatvorwürfe mehrmals angeklagt wurden.

Die Anklageschrift war schon im Vorfeld bei Anwälten höchst umstritten; sie sei sehr allgemein gehalten, enthielte kopierte Wikipedia-Einträge und nicht nachvollziehbare Vorwürfe. Es gebe in der Anklage Schleppungsvorwürfe mit vielen verschiedenen Tatalternativen. "Wenn jemandem vorgeworfen wird, er hat zwei Personen, die noch nicht ausgeforscht worden sind, dadurch geschleppt, dass er sie zu einem Zug gebracht hat oder ihnen ein Ticket gekauft hat oder andere Möglichkeiten ergriffen hat, dann ist es schwierig, das dem Angeklagten vorzuhalten", hieß es.

Die Angeklagten zeigten sich im Prozess zum Teil geständig. Mit der Erklärung es sei eher ein "Freundschaftsdienst" als kalkulierter Menschenhandel. Ein 39-jähriger Pakistani soll "eines der in Österreich übergeordneten Mitglieder der kriminellen Schlepper-Vereinigung" gewesen sein. 39 Schleppungen soll er organisiert haben. "Circa 21, aber keine 39", sagte er. "Aber das war kein Business. Ich habe Freunden oder Freunden von Freunden geholfen." "Wie viele Freunde haben Sie?", wollte die Richterin wissen. "Wenn ich etwas Gutes in meinem Leben gemacht habe, dann ist es das, dass ich viele Freundschaften geschlossen habe. In Frankreich habe ich 100, in Spanien 50, in Italien 80, in Deutschland auch 50, in Pakistan 5000."

Früher Untersuchungsrichter, heute Staatsanwalt

"In Österreich habe ich in einem Jahr 150 Freunde kennengelernt", so der Angeklagte. Als dann auch noch die Seitenverweise zu den jeweiligen Akten nicht stimmten, schmiss die Richterin endgültig das Handtuch. Aufgrund der Umstände sei es sehr schwierig, die Angeklagten zu befragen.

Wie es zu so einer Anklageschrift kommen kann, wird bei den zuständigen Behörden unterschiedlich beantwortet. "Früher war der Untersuchungsrichter Herr des Ermittlungsverfahrens, heute ist es der Staatsanwalt", hieß es aus dem Justizministerium. Wenn die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung höher sei als ein Freispruch, kann der Staatsanwalt Anklage erheben. Zum Schlepper-Prozess lässt das Justizministerium ausrichten: "Die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Die Angeklagten haben gegen die Anklage einen Einspruch erhoben. Über dieses Rechtsmittel hat das Oberlandesgericht Wien entschieden und bestätigt, dass die Anklage rechtmäßig erhoben wurde. Oberstaatsanwaltschaft und das Justizministerium wurden über die Anklage informiert." Das Oberlandesgericht lässt wiederum ausrichten, das obliege nun dem Landesgericht Wiener Neustadt, und ja, man habe sich die Anklage angesehen und sie genehmigt.

Für die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt war die Enthaftung deshalb geboten, weil das Gericht die Vertagung des Verfahrens auf unbestimmte Zeit angekündigt habe, "um Fakten zu prüfen". Die bereits achtmonatige Haft der Angeklagten stand daher in keiner Verhältnismäßigkeit mehr. Erich Habitzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft, wies darauf hin, dass über vier Monate Zeit für die Vorbereitung der Hauptverhandlung gewesen sei. Er sehe "keinen nachvollziehbaren Grund" für eine Vertagung. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft herrsche nach wie vor der dringende Tatverdacht gegen die der Schlepperei Angeklagten. Die Richterin vertagte den Prozess auf den 6. Mai, bis dahin sollte noch einiges geklärt werden.