Forschung und Labor waren gestern, heute findet Innovation im Netzwerk statt.
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Wien. Sein neuestes Buch heißt "Who do you want your customers to become?" (Wer sollen Ihre Kunden werden?) und macht Innovation zu einer Sache der Kooperation von Unternehmen und Kunden. An die Stelle des Labors tritt das virtuelle Netzwerk der Vielen. Beim Austrian Innovation Forum erklärte gestern Michael Schrage vom Massachusetts Institute of Technology, wieso Amazon und Google die neuen Gesichter der Innovation sind.
"Wiener Zeitung":Wer innovativ sein wolle, müsse sich fragen, welche Kunden er will, schreiben Sie in "Who do you want your
customers to become?". Gemeinhin nimmt man an, dass gute Ideen zu neuen Produkten führen. Woher kommen die bei Ihrem Ansatz?Michael Schrage: Mir geht es um die Beziehung von Unternehmen und Kunde, denn beide tragen zum Wachstum des Unternehmens bei. Normalerweise sieht man das Verhältnis als Transaktion, die mit dem Kauf eines Produkts abgeschlossen ist. Das geht am Wert der Innovation vorbei. Gute Innovationen, die unser Leben verändern, tun nämlich mehr: Sie steigern unseren persönlichen Wert. Sie befähigen uns, Dinge zu tun, die wir vorher nicht tun konnten. Sie machen uns zu anderen Menschen. Google und Amazon vernetzen uns, das Mobiltelefon macht uns kommunikativer und so weiter. Der Wert einer Innovation liegt im Humankapital, das sie schafft.
Gilt dies erst für diese Ära, die durch digitale Technologien geprägt ist, oder generell?
Es gilt vermutlich für alle Innovationen. Was hat denn die Innovation des Buchs geschaffen? Leser. Oder das Auto? Fahrer. Innovation hat nichts damit zu tun, ein gutes Produkt zu schaffen, sondern seine Nutzer "wertvoller" zu machen. Wir müssen fragen, wie die Nutzung einer Innovation das Humankapital einer Ökonomie und einer Gesellschaft verändern. Wir sollten das Augenmerk auf die Innovationen richten, die dem Humankapital am meisten nützen.
Vor dem Hintergrund des personalisierten Internet und Big Data befürchten manche, dass wir nicht vernetzt werden, sondern in unseren jeweiligen Filterblasen landen.
Nein, auch die borniertesten Menschen oder Unternehmen müssen sich weiterentwickeln, weil andere - Freunde, Kollegen, Kunden, Konkurrenten - das auch tun. Es wird eher schwieriger, sich zu isolieren. Die digitalen Technologien haben eine große Vernetzungskraft.
Wo wird Innovation in Zukunft stattfinden?
Die Frage ist nicht wo, sondern mit wem. Mit dem besten Kunden oder mit dem typischen Kunden? Nehmen wir die Zeitung als Beispiel: Die besten Leser werden vielleicht selbst zu Informationsquellen und Beiträgern, und die Zeitung kann sich zu einer Schnittstelle weiterentwickeln. Die typischen Leser werden eher wenig zur Weiterentwicklung beitragen können.
Die digitalen Technologien produzieren eine Menge Daten. Wie wird die Analyse dieser Daten in Zukunft funktionieren?
In zwei Jahren werden wir beim Einloggen in unsere Systeme schon eine fertige Analyse vorfinden: Man sieht, was in den sozialen Netzwerken geteilt wurde, weiß, welche Kundengruppen man besonders angesprochen hat. Komplexe Echtzeitanalysen werden selbstverständlich sein. Die Frage ist, wie diese beeinflussen, was wir tun und welche Innovationen wir weiterverfolgen.
Was heißt das für eine Gesellschaft?
Ich mache mir keine Sorgen über einen Stillstand, denn es ist heute für jeden viel einfacher, Ideen zu entwickeln, zu testen und zu teilen. Und auch zu finanzieren. Das Paradigma hat sich verändert, wenn es früher Forschung und Entwicklung war, ist es jetzt das Experiment im großen Umfang.