In Österreich grassiert eine Statistik-Phobie. Transparente Zahlen werden vor allem dann gefürchtet, wenn sie stimmen könnten.
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Zu behaupten, dass die Himalaya-Gletscher bis 2035 verschwunden sein würden, ist im wissenschaftlichen Sinn ungefähr so abenteuerlich wie vorauszusagen, dass der deutsche Wald stirbt oder dass im Winter 2009/2010 eine bis dahin unbekannte "Schweinegrippe" die Menschen zu Tausenden dahinraffen werde. Notorische Pandemiker glauben offenbar alles, was bildlich darstellbar ist.
Im Fall der Eisschmelze im höchsten Gebirgsmassiv war es der mit dem Nobelpreis geehrte UNO-Weltklimarat IPCC, der im Jahr 2008 in seinem offiziellen Klimabericht die durch nichts erhärtete Prognose abgegeben und sich damit schwer blamiert hat.
In der österreichischen Innenpolitik hat die Mythenbildung eine besondere Seite. Eigentlich ist sie die Kehrseite. Es grassiert eine Angst vor belegbaren Daten, vor seriöser Statistik. Einige Jahre lang machten Politiker - wohl mit Rückendeckung der Industrie - dem Volk weis, Österreich sei eine Art Weltmeister im Umweltschutz, ohne Belege vorzuweisen. Inzwischen wird der alpenländische Musterschüler bereits als Spitzenreiter im CO2-Ausstoß unter den alten EU-Staaten enttarnt.
Oder anderes Beispiel: Es genügt offenbar, die Sozialpartnerschaft und das mit ihrer Hilfe veranstaltete österreichische Sozialmodell als globale Meisterleistung anzupreisen - die Leute glauben es. Aber ja nicht nachrechnen! Wenn Finanzminister Josef Pröll auf die völlig unösterreichische Idee kommt, das Plus und Minus im Sozialtransfer auf persönlichen Kontobewegungen darzustellen, weht ihm eisiger Wind ins Gesicht. Nur nicht herumtüfteln. Es könnte ja sein, dass jemand auf Grund eines "Transferkontos" etwas verlieren müsste, was ihm gar nicht zusteht - und solches war noch nie die oberste Priorität in der Sozialstaatsrechnerei.
Oder ein weiterer Fall aus jüngster Zeit. Es gibt zwar sehr marketingfreudige Abtreibungskliniken, die ihre Tätigkeit hoffentlich im Rahmen der gesetzlichen Fristenregelung erledigen. Kaum aber will Familienstaatssekretärin Christine Marek durch transparente Statistiken über Motive und regionale Besonderheiten bei Schwangerschaftsabbrüchen eine Grundlage für bessere Beratung der Frauen schaffen, fallen ihr nicht nur das Ambulatorium "pro.woman", sondern auch Gesundheitsminister Alois Stöger in den Arm beziehungsweise Rücken: Wozu so viel wissen wollen? Wäre ja nur Schnüffelei.
Nachträglich wundert man sich, dass es die Krankenkassen wenigstens schafften, ihren Versicherten einen "Leistungsbericht" über das zusenden zu dürfen, was für sie im vergangenen Jahr finanziell aufgewendet wurde. Vermutlich würde eine derartige Maßnahme, gäbe es sie noch nicht, heute schon während der Planung abgewürgt werden. Einem Patienten die Kosten des Heilungsprozesses mitzuteilen würde garantiert als Grobheit, wenn nicht gar als Zynismus angeprangert werden. So wie das Vorhaben, die grüne E-Card mit einem Foto des Inhabers zu versehen und somit missbräuchliche Verwendung zu unterbinden, so lange zerredet wurde, bis man es aufgab.
Es dürfte wenig nützen, darauf aufmerksam zu machen, dass die europäische Kultur dank des altgriechischen Drangs zum Rechnen, Wägen, Messen und Forschen den Siegeszug um die Welt angetreten hat (im Guten wie im Schlechten). Ein Armengeld, das ein Landeshauptmann vor Weihnachten verteilt, sagt mehr als eine Budgetrechnung für den Landeshaushalt beziehungsweise die mit ihm verschachtelte Hypo Alpe Adria-Bank.