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Auf Partystimmung folgt Nüchternheit in Berlin

Von Alexander Dworzak

Politik

Nach 13 Jahren im Amt übergibt Bürgermeister Klaus Wowereit an seinen Vertrauten Michael Müller.


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Berlin/Wien. In Klaus Wowereits Zimmer hängt ein großflächiges Bild. "Drummer und Gitarrist" heißt das Werk des Malers und Bildhauers Rainer Fetting, der in den 1970ern mitsamt anderen Berliner Künstlern als "Junger Wilder" galt. Grell und laut wie das Bild war auch die Selbstdarstellung von Klaus Wowereit. Was nun mit dem Bild passiert, ist unklar. Hängen bleiben wird es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Denn in Wowereits Büro zieht am Donnerstag Michael Müller ein. Er gilt als Mann der leisen Töne, als solide, ruhig, nüchtern und sachorientiert. Der 50-Jährige bemüht sich erst gar nicht, Glamour wie sein Vorgänger zu versprühen.

Nach 13 Jahren an der Spitze der deutschen Hauptstadt übergibt "Wowi" das Zepter an Müller. Dem homosexuellen Wowereit, der sich 2001 mit dem berühmten Spruch "Ich bin schwul, und das ist gut so" outete und bei Partys auch mit Pumps und Champagner in der Hand posierte, folgt ein verheirateter Vater zweier Kinder ohne Inszenierungsambitionen. Gemein ist Wowereit und Müller, auch wenn Ersterer dies gern nach außen versteckte, ihr Fleiß: Beide gelten als "Aktenfresser".

Beim Abschied zeigte Wowereit, warum er als einer der talentiertesten Politiker Deutschlands galt und zeitweise für den Vorsitz der SPD gehandelt wurde. Während des Sommerlochs kündigte er seinen Rückzug per Dezember an. "Ich gehe freiwillig", sagte er trotzig. Unausgesprochener Subtext: Auch wenn das Desaster um den Hauptstadtflughafen BER meinen Ruf ruiniert hat, rausschießen lasse ich mich von meiner eigenen Partei nicht.

Zudem veranlasste Wowereit, dass über seinen Nachfolger die SPD-Basis zu entscheiden habe, nicht ein Funktionärsgremium. Fast 60 Prozent der Genossen stimmten daraufhin für Müller, der seinem Bürgermeister in den vergangenen drei Jahren als Senator für Stadtentwicklung und Umwelt den Rücken freigehalten hatte. Die politische Beziehung der beiden reicht noch wesentlich weiter zurück: 2001 wurde Müller Fraktionsvorsitzender in Berlin, 2004 auch Landesvorsitzender. Doch im Sommer 2012 drängte der parteiinterne Rivale Jan Stöß Müller aus dem Landesvorsitz. Es war auch ein Signal an Wowereit, dass es Zeit sei, den Bürgermeistersessel abzugeben. Nun muss Stöß zusehen, wie Wowereits Intimus Müller die Stadt regiert.

Bloß arm

Der neue Bürgermeister hat alles andere als eine leichte Aufgabe vor sich. "Berlin ist nicht einfach, aber Berlin hat Kraft", sagt er selbst. Zwar ist die Hauptstadt zu einer europäischen Kulturmetropole und zum Zuwanderungsmagneten aufgestiegen, 50.000 Personen wanderten alleine im vergangenen Jahr zu. Aber auch wenn die Arbeitslosenrate seit dem Fall der Wende halbiert werden konnte, ist sie mit 10,4 Prozent am zweithöchsten von allen Bundesländern. Nur in Bremen sind es noch mehr, vom Landes-Durchschnitt 6,3 Prozent ist man ohnehin meilenweit entfernt. Hinzu kommt der unter Wowereit stark gestiegene Schuldenstand. Lagen die Verbindlichkeiten 2001 noch bei 38 Milliarden Euro, sind es nunmehr 62 Milliarden. Noch dazu ist jeder fünfte Stadtbürger auf staatliche Zuschüsse zum Lebensunterhalt angewiesen, während davon landesweit nur jeder Zehnte betroffen ist. In weiten Teilen ist Berlin nicht "Arm, aber sexy", wie Wowereit behauptet hat, sondern nur arm.

Und dann gibt es noch die Baustelle BER. Für 2007 versprach Wowereit einst dessen Eröffnung. Sieben Jahre und geplante Baukosten von 5,4 - statt ursprünglich vorgesehenen 2 - Milliarden später ist weit und breit kein Eröffnungstermin in Sicht. Müller muss hier endlich Fortschritte liefern. Sonst stehen seine Chancen bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 schlecht.