Zum Hauptinhalt springen

Auf sehr dünnem Eis

Von Roland Knauer

Wissen

Zukunft der Tiere liegt in der Hand der Entscheidungsträger. | Ohne Eis haben die Bären keine Chance. | Berlin. Die Eisbären könnten den Klimawandel entgegen bisherigen Befürchtungen doch überleben, berichten Steven Amstrup vom US Geological Survey in Anchorage in Alaska und seine Kollegen in der Fachzeitschrift "Nature" (Band 468, Seite 955). Die charismatischen Tiere aber haben nur dann eine Chance, wenn entschiedene Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden, zeigen die Modellrechnungen der Forscher. "Allerdings gibt es bisher kaum Hinweise, dass eine solche Politik rechtzeitig in die Tat umgesetzt wird", ergänzt Eisbär-Spezialist Andrew Derocher von der University of Alberta in der gleichen Zeitschrift (Seite 905). Damit liegt die Zukunft dieser Tiere in der Hand der Entscheidungsträger, meint der Forscher in Kanada weiter.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Eisbären bewegen sich demnach auf dünnem Eis. Noch im Jahr 2007 hatte ihnen Steven Amstrup beschieden, dass ihnen die Eisschollen unter den Tatzen wegschmelzen würden. Damals hatten die Forscher ausgerechnet, dass steigende Temperaturen das Eis des Nordpolarmeers bis 2050 so dezimieren würden, dass dann nur noch ein Drittel der heute 22.000 Eisbären überleben und sie danach völlig verschwinden könnten. Denn das Eis ist für die Bären überlebenswichtig. Von den weißen Schollen aus jagen sie Ringel- und Bartrobben, ihre Hauptbeute. Mit dem Eis lassen sie sich durch das Nordpolarmeer treiben, dort paaren sich die Tiere auch.

Da der Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und schwindenden Eisbärenzahlen klar auf der Hand liegt, hatten Klimaschützer ihren Märtyrer gefunden. Und der steht auch auf der Liste der gefährdeten Arten, die von der internationalen Naturschutzorganisation IUCN publiziert wird. Sogar die USA hatten Eisbären 2008 als gefährdet eingestuft.

Die Computermodelle zeigten den Forschern, dass ohne Maßnahmen gegen den Klimawandel steigende Temperaturen innerhalb von weniger als zehn Jahren große Flächen des Eises auf dem Nordpolarmeer verschwinden lassen könnten. Weniger Eis reflektiert aber auch weniger Sonnenlicht, so dass dann mehr Wärme auf der Erde bleibt. Das Schrumpfen der Eisfläche würde also die Erwärmung weiter verstärken, noch mehr Eis würde schmelzen, in den folgenden Jahrzehnten würde das gesamte Eis auf dem Meer im hohen Norden verschwinden.

Ohne ihren Lebensraum Eis aber haben die Eisbären keine Chance. Schon heute hungern sie während der Sommermonate an der kanadischen Küste, verlieren dadurch jeden Tag ein Kilogramm Gewicht und warten darauf, dass im Herbst endlich die ersten Eisschollen wieder auftauchen.

Die Forscher hatten 2007 noch nicht untersucht, ob dieser Kippschalter wirklich umgelegt wird, der zum völligen Verschwinden des Eises im Nordpolarmeer führt, wenn entschlossen Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden. Das holten sie jetzt nach und fanden eine lineare Beziehung zwischen der Fläche des Meereises und der Temperatur: Je höher die Temperatur, umso weniger Eis gibt es. Einen Kippschalter aber zeigten die Modelle nicht. Je schneller und stärker der Ausstoß der Treibhausgase reduziert wird, umso mehr Eis und Eisbären dürfte es in Zukunft im Nordpolarmeer geben, zeigen die Computermodelle.

Jagdverbot träfe die Inuit

Steven Amstrup hatte bereits 2007 die Chancen der Eisbären in jedem der vier großen Lebensräume der Tiere einzeln untersucht. Die neue Analyse zeigt jetzt, dass einschneidende Maßnahmen gegen den Klimawandel die Situation für die Art in jeder dieser Regionen deutlich verbessern.

Das gilt vor allem, wenn die immer noch erlaubte Jagd auf Eisbären in Grönland und Kanada massiv eingeschränkt wird, betont Amstrup. "Ein Verbot der Jagd aber würde für die Ureinwohner der Arktis einen erheblichen kulturellen Verlust bedeuten", gibt Derocher zu bedenken. Ob die Inuit einverstanden wären, bleibt abzuwarten.