Schon Monate vor der nächsten Parlamentswahl in Polen wird über die Wahlbeteiligung debattiert. Die Regierung muss sich dabei mehr Sorgen machen als die Opposition.
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Vielleicht geht sie gar nicht hin. Oder sie kreuzt das an, was ihre Schwester ihr sagt. Wenn die 25-jährige Geographie-Studentin Karolina an die kommende Parlamentswahl in Polen denkt, verdreht sie nur die Augen. "Eigentlich sollte ich mich für Politik interessieren", sagt die junge Frau nach kurzem Überlegen. "Aber immer, wenn ich etwas darüber höre oder lese, langweile ich mich schnell." Ihre Schwester sei da ganz anders: Die studiere Politikwissenschaft und erkläre der ganzen Familie in langen Vorträgen, wie zu wählen sei.
Karolina selbst denkt sowieso eher daran, das Land zu verlassen, vielleicht nach Österreich zu ziehen, sobald sie ihr Studium beendet hat. Ihr Freund ist ein Steirer und lebt in der Nähe von Graz.
Die Politikverdrossenheit ist in Polen mehr als 20 Jahre nach dem Umsturz 1989 auf einem ähnlichen Niveau angelangt wie in westeuropäischen Staaten. Etliche junge Menschen fühlen sich von ihren Politikern nicht mehr repräsentiert, finden ihre Probleme in den täglichen öffentlichen Debatten nicht angesprochen. Sie konzentrieren sich darauf, so schnell wie möglich ihre Ausbildung zu beenden und einen guten Job zu finden - wenn nicht in ihrer Heimat, dann im Ausland.
Wie ihre Kollegen in fast allen europäischen Ländern beklagen daher auch polnische Politologen die sinkende Wahlbeteiligung bei Abstimmungen. Im Schnitt geht nur jeder zweite Pole wählen; beim Votum zum EU-Parlament 2009 fand nicht einmal jeder Dritte den Weg zur Wahlurne. Und als Beobachter bei der Parlamentswahl vor knapp dreieinhalb Jahren über die höchste Wahlbeteiligung seit 1989 jubelten, hatten gerade einmal 54 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgegeben.
Das Thema taucht nun einmal mehr in der öffentlichen Diskussion auf - auch wenn das Parlament erst im Herbst gewählt wird. Doch die ersten Wahlkampftöne wurden schon angeschlagen. Vor allem die Regierungspartei PO (Bürgerplattform) muss verstärkt um Stimmen werben, mehr als die oppositionelle rechtskonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit), die erfahrungsgemäß ihr Elektorat gut mobilisieren kann.
Dabei wird es die PO von Premier Donald Tusk wohl schwerer haben als bei der Wahl 2007. Denn bei etlichen ihrer Wähler macht sich Enttäuschung breit. Von den einst versprochenen Reformen - etwa in der Wirtschaft oder im Gesundheitswesen - wurden nur Teile umgesetzt, andere sind in der Planungsphase steckengeblieben.
Und auch in weltanschaulichen Dingen zeigt sich so mancher PO-Politiker nicht weniger konservativ als seine oft für ihre krasse Engstirnigkeit geschmähten PiS-Kollegen. Von einer strikten Abschottung der noch immer einflussreichen katholischen Kirche von der Tagespolitik kann da dann auch nicht die Rede sein.
Im Zentrum der Kritik steht dabei der Premier selbst. Tusk wird vorgeworfen, viel zu zögerlich zu agieren, sich mit der Administration des Staates zu begnügen anstatt Visionen und Ideen für seine Partei - aber auch eine mögliche zweite Amtsperiode - zu entwerfen. Der Bürgerplattform wohl gesinnte Publizisten warnen den Ministerpräsidenten davor, das Vertrauen der Menschen zu enttäuschen, die die PO nicht zuletzt deswegen gewählt haben, weil sie sich ein weltoffeneres und fortschrittliches Polen gewünscht hatten.
Laut Umfragen hat die Regierungspartei bereits massiv an Beliebtheit eingebüßt. Noch setzt sie darauf, dass viele Bürger sie als das kleinere Übel denn andere Fraktionen ansehen. Das allein wird als Wahlkampfprogramm allerdings nicht ausreichen.