Das Gezerre um den mehrjährigen EU-Haushalt zeigt die Risse in der Gemeinschaft auf.
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Es ist ein altes Gipfelritual. Und es wiederholte sich auch diese Woche. Die Staats- und Regierungschefs der EU kommen, wie am Donnerstag passiert, zu einem Gipfeltreffen in Brüssel zusammen. Es gibt zunächst eine große Runde, in der die Beratungen aufgenommen werden und die pünktlich startet - oder auch nicht. Wenn es nämlich noch vorher in kleineren Gruppen etwas zu besprechen gilt, dann wird der Sitzungsbeginn verschoben, um eine halbe, eine Stunde, zwei Stunden. Danach kann die eigene Gipfeldynamik alles bringen: eine schnelle Einigung darauf, dass eine Einigung verschoben wird. Stundenlanges Ringen um eine Formulierung. Verhandlungen bis spät in die Nacht hinein.
Das war am Donnerstag der Fall, bevor Ratspräsident Charles Michel die Spitzenpolitiker für ein paar Stunden ins Hotel zum Schlafen schickte. Die große Runde hatte gar nicht so lang gedauert, doch danach gab es bilaterale Treffen zwischen Michel und diversen Sitzungsteilnehmern. Die setzte der Belgier dann auch am Freitag fort - und die große Runde verzögerte und verzögerte sich. Bis in den frühen Abend war offen, ob und wie nahe ein Kompromiss zu den EU-Finanzen war.
Geben und nehmen
Denn um diese kreisten die Verhandlungen. Es gilt, den Ausgabenrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 abzustecken. Der Etatentwurf bewegt sich bei mehr als einer Billion Euro; die Vorschläge setzen bei 1,0 bis zu knapp 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung an. Dazwischen lagen die Positionen der Mitgliedstaaten. Und diese Zwischenräume zeigen auch gleich die Risse in der EU auf.
Einer davon klafft zwischen den Nettozahler- und Empfängerländern. Die ersten überweisen mehr Geld ins EU-Budget, als sie daraus zurückerhalten. Aus dieser Gruppe formte sich ein Quartett, das die "sparsamen Vier" genannt wurde. Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark beharrten darauf, nicht mehr zum gemeinsamen Haushalt beizusteuern als ein Prozent des Bruttonationaleinkommens. Der größte Nettozahler, Deutschland, gab sich nicht so strikt - auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenfalls Einwände vorbrachte.
Hintergrund für diese Debatte ist die Budgetgestaltung. Der EU-Etat speist sich zu mehr als zwei Dritteln aus nationalen Beiträgen. An deren Erhöhung sind jene Länder, die sowieso mehr als andere zahlen, kaum interessiert. EU-Kommission und -Parlament fordern daher schon lange, neue Einnahmenquellen - etwa aus einer Plastiksteuer - zu öffnen.
Auf der anderen Seite weisen ostmitteleuropäische Empfängerländer gern darauf hin, dass die Kohäsionspolitik, also Förderungen für Infrastrukturprojekte etwa, zur Verringerung der wirtschaftlichen Ungleichheiten in der EU beiträgt. Davon würden reichere Staaten ebenfalls profitieren. Der polnische Premier Mateusz Morawiecki führte vor einigen Tagen in einem Gastbeitrag für "Die Welt" Zahlen an: "Jeder Euro, der für Kohäsionspolitik in den Ländern der Visegrad-Gruppe, also in Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei, ausgegeben wurde, brachte Österreich 3,31 Euro, Deutschland 1,50 Euro und den Niederlanden 1,45 Euro."
Agrarförderung zeitgemäß?
Die Kohäsionsfonds und die Agrarförderung machen die größten Posten im EU-Haushalt aus - zusammen fast 800 Milliarden Euro für sieben Jahre. Ob es aber überhaupt zeitgemäß ist, die Landwirtschaft so stark zu stützen, wird immer wieder hinterfragt. Merkel etwa verwies darauf, dass in "Zukunftsbereiche" investiert werden sollte. Doch schon ihr französischer Amtskollege Emmanuel Macron ist strikt gegen Kürzungen im Agrarbereich. Auch Österreich hat sich immer wieder dagegen gewandt.
Trotz unterschiedlicher Interessen hätten aber ausgerechnet Merkel und Macron beim Gipfel in Brüssel für etwas Dynamik gesorgt und versucht, die verhärteten Positionen aufzuweichen. Gleichzeitig räumte die Kanzlerin ein, dass es da noch einen Akteur gebe, der den Kompromiss erst tatsächlich ermöglicht: das EU-Parlament. Das Abgeordnetenhaus muss dem Haushalt zustimmen. Es wünscht sich aber wesentlich mehr Geld für die EU, als die Regierungen zur Verfügung stellen wollen. Daher hat es bereits im Vorfeld mit einem Veto gegen den Vorschlag der Mitgliedstaaten gedroht.