Zum Hauptinhalt springen

Auf Zeitreise ins Mittelalter

Von Markus Kauffmann

Kommentare
Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Vom S-Bahnhof Mexikoplatz sind es drei Minuten mit dem Bus zu diesem Museum - und schon hat man 800 Jahre hinter sich gelassen: Mitten in Berlin lebt das Mittelalter weiter.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ganz Berlin ist von den heutigen Spree-Athenern besetzt. Ganz Berlin? Nein, ein kleines mittelalterliches Dorf leistet dem Zeitgeist tapferen Widerstand. Es heißt Museumsdorf Düppel und ist umgeben von mittelalterlichen Holzpalisaden. Drinnen tummelt sich ein braves Volk von Schmieden und Töpfern, Viehzüchtern und Weberinnen, Teermachern und Holzdrechslern.

Eben hatte der aus dem sächsischen Geschlecht der Askanier stammende Albrecht, der Bär, die Nordmark (die Mark Brandenburg) von den Slawen erobert und dem Heiligen Römischen Reich angegliedert, als auch schon deutsche Siedler nachzogen und Dörfer gründeten.

Das war nicht immer ganz einfach, denn das Gebiet war meistens morastig und sumpfig. An einer dieser Moorwiesen entstand um 1170 unser kleines Bauerndörfchen, das heute innerhalb der Grenzen Berlins liegt, obwohl Berlin damals noch gar nicht existierte. Nach heutigen Erkenntnissen ist das wackere Dorf nämlich gut 20 Jahre älter.

Nach wenigen Jahren verschwand es jedoch wieder von der Erdoberfläche - bis im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts auf einem unbebauten Feld am "Krummen Fenn", einem kleinen See in Berlin-Zehlendorf, bei archäologischen Grabungen die alten Spuren sichtbar wurden. Zum Vorschein kamen Hausgrundrisse, Reste einer Palisadenbefestigung, Keramikscherben, slawische Schläfenringe, einige Spinnwirtel und Bruchstücke von anderen Gebrauchsgegenständen.

Bald war die Idee geboren, das alte Dörfchen wieder auferstehen zu lassen, mit allem, was dazu gehört, und mit Leben zu füllen. 1975 wurde der Museumsverein gegründet. Dem ersten, reetgedeckten Haus auf altem Grundriss folgten im Lauf der Zeit eine Schmiede, Getreidespeicher, weitere rekonstruierte Wohnhäuser, Brunnen, Handwerk stätten, Felder und Gärten, geschützt von einer originalgetreuen Holzpalisade.

Das Dorf ist ein Versuchszentrum für experimentelle Archäologie, das die bäuerliche Lebensweise des 13. Jahrhunderts erforscht: Die Häuser und Speicher wurden nach und nach mit uralten Techniken errichtet, die aus dieser Zeit bekannt sind. Man kann die historisch gekleideten Frauen beim Spinnen und Weben beobachten, man lernt die Gewinnung von Holzteer (Pech) in der Teerschwele kennen, ja man kann das Mittelalter sogar kulinarisch nachempfinden mit Hirsebrei, Met und Gemüsesuppen.

Auch zum Erhalt der Artenvielfalt trägt man dort bei: So wird Dreifelderwirtschaft betrieben, alte Kultur- und Wildpflanzen werden angebaut (wie zum Beispiel die uralte Apfelsorte Maschanzker) und Haustier-Rassen vor dem Aussterben bewahrt. Etwa die "Skudden", eine bedrohte Schafrasse, oder das rückgezüchtete Düppeler Weideschwein.

Im Museumsgarten findet man etwa Pastinaken, die von den Karotten verdrängt wurden, obwohl jene viermal so viel Fasern, Kalium, Proteine und Vitamin C enthalten wie diese. Erdäpfel, Bohnen oder Paradeiser sucht man allerdings vergeblich, wurden sie doch erst 300 Jahre später nach Europa eingeführt.

Auch Kinder kommen bei einem Besuch in Düppel auf ihre Rechnung: Die 40 ehrenamtlichen Mitarbeiter des Dorfes spielen mit ihnen schon gerne einmal eines der zahllosen mittelalterlichen Spiele. An Brettspielen gibt es "Fuchs und Gänse" oder allerlei Mühlespiele - oder Wurf- und Kugelspiele wie das "Nüsse kullern", Stelzenlaufen, Steckenpferdrennen, Reifentreiben oder Ringelstechen. Dabei kommt so mancher "Mittelalterliche" mitunter ins Schwitzen.. .