Analyse: US-Präsident Joe Biden besucht Saudi-Arabien als einziges arabisches Land. Für die Mächtigen in Riad ist das nach den schwierigen Jahren eine entscheidende Aufwertung.
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Joe Biden hätte den Scheichs in Saudi Arabien keinen größeren Gefallen tun können, als sie jetzt zu besuchen. Zwar führt der aktuelle US-Präsident keinen Säbeltanz mit ihnen auf wie sein Vorgänger Donald Trump, um seine Verbundenheit zu demonstrieren. Doch die Tatsache, dass Biden während seiner Nahostreise als einziges arabisches Land die Golfmonarchie besucht, ist schon Aufwertung genug.
Noch vor wenigen Wochen hatte der Mann im Weißen Haus ganz andere Töne angestimmt, als es um Saudi-Arabien ging. Denn die Liste an Problemfeldern ist lang: Saudi-Arabien tritt die Menschenrechte mit Füßen und führt einen verheerenden Krieg im Jemen. Jahrelang wurden Terroristen unterstützt wie etwa bei den Anschlägen in New York und Washington 2001, wo 15 der 17 Drahtzieher aus Saudi-Arabien kamen. Auch die Al-Kaida, die im Irak gegen die Amerikaner bombte, und später der IS bekamen Geld aus dem erzkonservativen Königreich.
Die Ächtung, die die Golfmonarchie schon lange verdient hätte, kam allerdings erst mit der bestialischen Ermordung des regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi. Doch die Visite von Joe Biden macht nun auch das vergessen. Großes Aufatmen in Riad.
Die Vorgehensweise der Amerikaner wird in der Region allerdings als normal angesehen. Man erregt sich heftig, schreit laut, gestikuliert verachtend. Isolation und Ächtung sind keine Seltenheit, bis hin zum Boykott. Vermittler schalten sich ein, man redet nicht miteinander, sondern übereinander. Und dann ist wieder alles vergessen, große Umarmung und Verbrüderung, so als wäre nichts passiert. So geschehen zwischen Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar. Ein Krach im GCC, dem Golfkooperationsrat, der bis dahin ohne Beispiel war.
Katar hatte dabei den Zorn der Saudis erregt. Vor allem Kronprinz Mohammed bin Salman wollte dem jungen Emir in Doha ein Bein stellen. Tamim Al Thani hatte die Macht 2013 von seinem Vater geerbt und wurde mit nur 33 Jahren der jüngste Staatschef der arabischen Welt, stets bestrebt, Saudi-Arabien zu überflügeln. Bin Salman betrieb einen vier Jahre anhaltenden Boykott gegen Katar, schloss die einzige Landgrenze zur Halbinsel und brach die diplomatischen Beziehungen ab. Ausgerechnet "Unterstützung von Terror" lautete der Vorwurf. Riad saß im Glashaus und hat mit Steinen geworfen.
Manche nennen dieses Verhalten Heuchelei, im Nahen Osten spricht man von Widersprüchen, die es auszuhalten gilt. Man wähnt sich hier mit den Amerikanern in guter Gesellschaft. Joe Biden trifft in Jeddah nicht nur auf den saudischen König und seinen umstrittenen Kronprinzen, sondern auch auf Vertreter aller GCC-Ratsmitglieder und auf Spitzenpolitiker aus Ägypten, Jordanien und dem Irak. Sie alle sollen jetzt mehr Öl produzieren, damit der Preis am Weltmarkt fällt und die USA die Inflation in den Griff bekommen. Harmonie und Schulterschluss sind angesagt, der Ukraine-Krieg macht’s möglich.
Rolle rückwärts
Als der US-Präsident im Dezember zum virtuellen Demokratiegipfel einlud und die Welt somit in Autokratien und Demokratien aufteilte, hatte er aus der Region nur Israel und den Irak eingeladen. Die anderen Staaten, deren Vertreter Biden jetzt trifft, und vor allem Saudi-Arabien liegen auf jeder Demokratie-Skala weit abgeschlagen. Die Golfmonarchie ist neben dem Iran der autokratischste Staat im Nahen Osten.
Umso mehr freuen sich der saudische König und die vielen Prinzen, dass sie wieder eine Rolle spielen im westlichen Kalkül. Denn seitdem sich die Amerikaner von ihnen distanzierten und sich generell aus der Region zurückzogen, war es nicht mehr so bequem wie vorher. Aus der Not heraus mussten sich die Saudis mit dem Erzfeind Iran an einen Tisch setzen und fünf Mal in Bagdad verhandeln, ehe beide Seiten sich einig wurden, nach jahrelanger Eiszeit wieder Botschafter auszutauschen. In den Jahren davor hatten die Amerikaner immer ihre schützende Hand über die Saudis gehalten. Militärbasen, Ausbilder und westliche Waffensysteme gaben den Herrschern am Golf die nötige Überlegenheit.
Auch die Bemühungen des bis heute vom Öl abhängigen Westen, bald auf fossile Brennstoffe verzichten zu können, hatten ein Umdenken beim größten Ölexporteur der Welt gebracht. Riad entschied, sich dem Tourismus zu öffnen und neue Einkommensquellen zu erschließen. Kleine gesellschaftliche Reformschritte in dem fundamentalistisch islamischen Land wurden eingeleitet. Die Energieknappheit durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine bringt jetzt allerdings die Rolle rückwärts.
Für reformunwillige Länder wie Saudi-Arabien ist dies ein Segen. Die Plattform "Arab News" nennt Bidens Besuch denn auch die Rückkehr zur Norm und keine Neuorientierung, wie der US-Präsident das Ziel seines Besuchs als Rechtfertigung in der "Washington Post" bezeichnet. Daran ändert auch nichts, dass Riad als Geste nun seinen Luftraum für israelische Flugzeuge öffnet.